zwar blickt sie finster
aber ihr Hüftschwung verrät
sie kann auch anders
Bistromamsell
gern hülfe ich ihr
im Teeküchendämmer brav
beim Brötchenschmieren
Ein Wunderkind (1975)
schon mit zwei Jahren
stürzte er sich verwegen
von allen Stühlen
Sportmode
Radlerhosen sind
heute beinah dünner als
trüge man gar nichts
Dieser Vers ist möglicherweise nicht ganz korrekt formuliert. Das sollte aber über die in ihm enthaltene tiefe Wahrheit keinesfalls hinwegtäuschen.
Fortschritt bei der Zahnreinigung
sie bürstet und sagt
jetzt nur noch obeninnen
so weit sind wir schon
Himmelfahrtstag
Radfahrer rasen
als wollten sie Jesus noch
rasch überholen
Mundpflegerin
beim Zahnsteinkratzen
trifft mich ihr schwerer Busen
wie Boxhandschuhe
Fähiger Nachbar
der Arzt nebenan
kann nicht nur Menschen der kann
auch Rasenmäher
Haarige Allee
die Linden grünen
nicht nur am Kopf sie grünen
auch an den Beinen
Blitz-Rundreise
Hemdchen und Höschen
Handtücher Socken und Schaum
ein Kurzwaschprogramm
Japan-Rundreise (10 Tage einschließlich Flüge) – „Erlebnisse: Besichtigung des Meiji-Schreins – Besuch der Takeshita-Straße und des Omotesando Boulevards – Besuch des traditionellen Stadtteils Asakusa – Besuch des Nikko Nationalparks mit Toshogu-Schrein (UNESCO-Weltkulturerbe) – Besichtigung des Hasedera-Tempels in Kamakura – Fotostopp im Fuji Hakone Nationalpark mit Fotomotiv des Vulkans Fuji – Übernachtung in einem traditionellen Ryokan – Baden in einem typischen japanischen Onsen (Thermalbad) – Fahrt mit dem Schinkansen – Besichtigung der „Burg des weißen Reihers“ (UNESCO-Weltkulturerbe) – Besuch des Todai-ji-Tempels in Nara (UNESCO-Weltkulturerbe) – Spaziergang zum Kasuga-Schrein – Besichtigung des Fushimi-Inari-Schreins – Stadtbesichtigung in Kyoto mit Besuch des Ryoanji-Tempels mit Gärten (UNESCO-Weltkulturerbe) – Besuch des Nijo-Schlosses – Schlendern durch die Nishiki-Martktstrasse – Besuch des Ninenzaka-Viertels in Kyoto – Einführung in die Zen-Meditation im Kodaji-Tempel“ [Originalprospekt]
Parkspaziergang
der Weg versperrt durch
zehn Meter Leine zwischen
Frauchen und Fido
Frühlingsgeräusche
Der Möwerich kreischt laut und schrill,
die Möwe zu betören.
Das Vieh darf kreischen. Ich bin still
und muss sein Kreischen hören.
Die Lerche tiriliert vor Lust.
Die Frühlingswinde rauschen.
Fern blökt ein Schaf aus woller Brust.
Und ich muss schweigend lauschen.
Dumpf muht die Kuh, vom Grase satt,
im Kreise ihrer Kälber.
Nur abends spät, in meinem Bad,
muh ich dann auch mal selber.
Trost am Wäscheschrank
der Himmel bleibt grau
trotzig wähle ich deshalb
ein blaues Höschen
Wolkenbruch
die Regentropfen
spritzen vom Boden zurück
bis (fast) zum Himmel
Frau Schultze
Frau Schultze isst,
wenn Hüftspeck droht,
tagtäglich nur noch
Knäckebrot.
Legt man das Ohr
an ihren Busen,
hört man es knistern
dort beim Schmusen.
Wie?! – fragt man sich,
Bricht jetzt ihr Herz?!
Nein: Knäcke knuspert
magenwärts.
Anti-Mops
Höchst böse ist der Anti-Christ!
Der Anti-Mops ist gut:
Das ist ein kleiner, dicker Hund,
der niemand etwas tut.
Der schnuppert still an dir herum
und wittert deinen Speck
an Schenkeln, Bauch, Popo und so
und knabbert ihn dir weg.
Frühling im Park
die grünen Bäume
plötzlich mit weißen Blüten
völlig verschimmelt
Morgen am Fluss
die Rehe im Gras
folgen uns mit den Ohren
verstehen die Deutsch?
Herbstnacht auf Sylt
Kein Mondschein
– nur der Leuchtturm leuchtet.
Die Wiesen sind vom Tau befeuchtet.
Die Kühe stehen schwarz und breit
wie Truhen in der Dunkelheit.
Die Reetdachhäuser und die Dünen,
die Gräber langverblichner Hünen,
rings tiefgeduckt nach Sylter Norm
in windbewährter Hügelform.
Nichts hügelt, ach, in meiner Kammer,
kein Tau befeuchtet meinen Jammer!
Welch öder Stundenausverkauf!
Von Niebüll her zieht Nebel auf.
Ferne Muse. Eine Collage.
So lang bist du schon weg!
Wie soll ich für dich reimen?
Muss mir mein Bild von dir
allein zusammenleimen:
2 Gipsfüße aus dem Fußpflegesalon
10 Knoblauchzehenspitzen
2 Dekowaden aus der Damenstrumpfabteilung
2 Rohrknie aus dem Heizungskeller
2 Marmorsäulchen vom Familiengrab
1 rotes Dreieck aus dem Mengenlehrebuch
1 frisches Brötchen vom Bäcker
2 Honigmelonen vom Gemüsemarkt
1 bleicher Torso aus dem Kriminalmuseum
1 Kullernabel aus dem Flipperautomaten
2 Zitronen aus dem Land, wo sie blühn,
2 Walderdbeeren aus dem Obstkörbchen
2 Arme von 2 einarmigen Banditen
10 Finger aus einem Schreibmaschinenkurs
119 836 Haare von einer Füchsin aus Brehms Tierleben
3 957 braune Sommersprossen aus der geplatzten Kaffeekanne
1 Gesicht von einem alten, schwarzweißen Passfoto und
1 grin of the Cheshire Cat (1).
Ich zücke meinen Kleisterstift
und grobes Packpapier
und klebe alles richtig auf:
Dann ist’s, als wärst du hier.
(1) „All right,“ said the [Cheshire] Cat; and this time it vanished quite slowly, beginning with the end of the tail, and ending with the grin, which remained some time after the rest of it had gone. (Lewis Carroll, ‚Alice in Wonderland‘)
(2001)
Karawankenlied
Wenn im Tal der Karawanken
abends all die süßen, schlanken,
frischen, frommen, freien, franken
Maderln an der Liebe kranken,
wenn im Parke auf den Banken
harte Burschen ihre Pranken
ohne Wanken, ohne Schranken
um der zarten Maderln blanken
Hals wie Krakenarme ranken,
bangen wir, die morschen Planken
jener Banken könnten schwanken.
Doch die halten – gottseidanken!
Karawanken: Kalkkette der Südalpen im österreichisch-slowenischen Grenzgebiet
Herbstlicher Abendspaziergang auf Sylt
Heut abend sind das Watt,
das Röhricht und die Heide
so dunkel wie ein Sack,
der siebenfach verschnürt.
Die Kühe stehen schwarz
und reglos auf der Weide.
Der Wind haucht nur ganz sacht,
so dass man ihn kaum spürt.
Die Vöglein schweigen nun.
Ein jähes Rebhuhn flattert,
erschreckt durch meinen Schritt,
mit schnurrem Flügelschlag.
Ein sturmverbogner Strauch.
Ein träumend Entchen schnattert.
Danach bleibt alles still:
So endet dieser Tag.
Der Leuchtturm auf dem Kliff
wirkt seltsam erdentbunden.
Sein Riesenauge blinkt,
sein Armepaar wirft Licht
hell – dunkel – hell
in immergleichen Runden
hinaus aufs nasse Meer.
Mich sieht der Leuchtturm nicht.
Ich wandere allein.
Die Liebste ist so ferne!
In ihrem Heidekraut –
ein andrer Enterich?
Die Wolken teilen sich,
vereinzelt blinken Sterne.
Der Wind frischt langsam auf.
Bald wird es winterlich.
(2000)
Das Watt
Wenn Ebbe herrscht, erscheint das Watt
bedrückend feucht und groß und platt.
Man sieht dort statt markanter Klippen
nur nassen Sand mit feinen Rippen.
Ein Rettungsring, wohl weitgereist;
hier Tang, dort Netzgeflecht;
obwohl das Strandgut Strandgut heißt:
Ich finde Strandgut schlecht.
Auch wenn im Sand der Wattwurm nagt,
auch wenn die Möwe schreit:
Stilistisch hat das Watt versagt:
Es ist nur flach und weit.
(2000)
Trost im Bergtempel
Farbfotos zeigen
wo man wär es nicht diesig
den Fuji sähe
Nachtflug nach Helsinki
die massige Frau
in der kleinen Toilette
ob da noch Luft bleibt?
Enges Bad in Tokyo
statt meines Hemdes
den Duschvorhang in meine
Hose gefummelt
Vermasselt
beinah ein Engel
quöllen aus ihr nicht dauernd
Kaugummiblasen
Shibuya 109
einst bunt und schummrig
heute taghell beleuchtet
nichts zu entdecken
Shibuya 109 ist ein Jugendmodekaufhaus in der Nähe der weltbekannten „Alle-Gehen-Kreuzung“, dessen Läden kürzlich durch eine Modernisierung, vor allem durch helle, grellweiße Beleuchtung, ihren alten Charme verloren haben.
Shinkansen nach Tokyo
sonst immer Nebel
jetzt bei Sonne den Fuji
fast übersehen
Yamato Saidaiji
auf turmhohen Pumps
schnuppert sie frühlingstrunken
an Pflaumenblüten
Hase-Tempel im März
erst Schnee dann Sonne
die Zedernholzsäulen nun
duften sie wieder
Hieizan
Yokawa Chu-do und Konpon Chu-do
kein Bergkamm sondern
ein Drachenschwanz man keucht von
Zacke zu Zacke
Frühling am Kamo
schwarze Blüten aus
Tuch mit Staubgefäßen aus
blassgelbem Nylon
Hui und Pfui
trotz Kirschbaumblüte
in Japan riecht fast alles
ein bisschen nach Fisch
Japanischer Bergwald
man warnt vor Bären
wir weichen aus und landen
in Kälte und Schnee
Modedesign
statt eines Kleides
trägt sie ein weißes Laken
noch ist es windstill
Beide
das alte Rollbild
und ich beide bei Sonne
ziemlich zerknittert
Schultor in Kyoto
die Mädchen hüpfen
zum Unterricht die Jungen
schlurfen zur Schlachtbank
Bishamondo, Kyoto
tempeleigener
Kirschbaum an Krücken uralt
und immer noch fromm
Japanische Wintermode
ab und zu bietet
ein winziges Röckchen
den Hosen Paroli
Hotel Ri[an]
die Schlafmütze nachts
vom Kopf gerutscht ich träume
vom hohen Norden
Auf Reisen
nicht nur die Weisheit
sondern sogar den Käse
mit Löffeln gefressen
Koreanische Wintermode
wattierte Mäntel
und Elefantenhosen
wo sind die Menschen?
Touristin in Seoul
links ist sie braun
rechts ist sie blond wie ach
ist ihre Mitte?
Koreanische Schminke
bleiche Gesichter
unter pechschwarzen Kohlen
Klatschmohn im Schnee
Beate
sie ist ein Leuchtturm
steht reglos und schweigt und lässt
ihr Lächeln kreiseln
dinner for two
zwei fade Köpfe
unter dem Tisch dagegen
vier lustige Knie
Spätwinter
der Frühling noch weit
nur auf dem grünen Rasen
blüht schon der Maulwurf
Scheue Nachbarin
verstohlen trägt sie
den nackten Weihnachtsbaumstrunk
leise nach draußen
Dauerregen
der Park ist patschnass
die Enten schwanken zwischen
Watscheln und Paddeln
Etüde in E
neben dem Feldweg
scheppert die Blechlaterne
da hämmert ein Specht
Umweltbewusst
statt auf dem Rücksitz
liebt man sich heute heimlich
im Lastenfahrrad
Traumtänzerin
kaum hochgewuchtet
gönnt sich die Ballerina
ein kleines Schläfchen
Ballettrechnung
Spagatsprung zu dritt
pro Ballerina macht das
genau zwei Beine
Pas de deux
sie ist das Segel
er Mast und Takelage
sie beide das Boot
Petruschka
die Ballerina
nach siebzehn Pirouetten
völlig verheddert
Tänzerin
mal Campanile
mal Tour Eiffel die Füße
stets in Bewegung
Ballerina im Frühling
ihr Kopf ist schon da
unten läuft sie sich selber
noch flott hinterher
Lichterscheinung
mein eignes Fenster
vom Vollmond auf die Wand des
Nachbarn gespiegelt
Sonntagsausflug
sein grelles Trikot
ist ihm zu Kopf gestiegen
er radelt Amok
Zu hoch
ein Reiher im Baum
hält der die kleinen Vögel
etwa für Fische?
Liebeserklärung
Ulrike mag ich
wie Linsensuppe beide
sind mir nie über
Im Lehnstuhl
nachher dran Denken
ist häufig viel schöner als
vorher Erleben
Hyaluron
statt sanfter Lippen
ein praller Zwillingsreifen
was meint sie damit?
Immerhin
die Welt im Aufruhr
aber die Schuhe im Schrank
streng parallel
Vor Sonnenaufgang
beim Anblick der Welt
runzelt der Himmel die Stirn
durchaus verständlich
Trüber Morgen
die Straßenlampen
trauen dem Braten noch nicht
und leuchten weiter
Am Deich
was Nacktschnecke scheint
erweist sich am Ende oft
als Gänseköttel
Wintergedanken
leuchteten Krähen
wäre der Stadtpark des Nachts
voller Laternen
Bistrohocker
quirlige Beine
mit Maschendrahtnylons strikt
im Zaum gehalten
Frost in Hannover
der Maschsee friert zu
bald stoßen die Karpfen sich
wieder die Köpfe
Mansardenfenster
ist ihr Freund auswärts
winkt ihre Hand ansonsten
ach ihre Füße
Fensterblick 1978; Haiku 2016; Zeichnung 2024 anlässlich des Hitchcock-Films „Das Fenster zum Hof“
Doppelgängerin
vorn schwankt sie nach links
und hinten schwankt sie nach rechts
als wär sie zu zweit
Winterabend
ein Blesshuhn fliegt auf
im schwarzen Teich eine Naht
aus Flossenstapfen
Hochwasser
ratlose Krähen
vor überschwemmten Wegen
kein Weiterkommen
Weihnachtskrippe
Ochse und Esel
halten sich raus die schwänzen
das Hosianna
Weihnachtslektüre 1960
offen Oremus
heimlich schliefen die Eltern
Decamerone
Oremus: lateinisch „Lasset uns beten“; damals der Name des Gebet- und Gesangbuchs des Bistums Aachen
Decamerone: Novellenzyklus von Giovanni Boccaccio, ca. 1350; erotisch freizügig, in der Vergangenheit immer wieder als anstößig empfunden und bisweilen zensiert oder verboten
Schirmgeometrie
regenschwangerer
Sturm bläst fette Kalotten
zu dürren Kegeln
Sturmtief
Dezemberregen
der Weihnachtsbaum zeigt sich mit
Hut und Gummistiefel
Saturday Night Fever
mein Ofen schmückt sich
mit lippenstiftroter Glut
bevor er ausgeht
Die Empörten
die sind erst am Ziel
wenn alle ähnlich fad sind
wie ihresgleichen
If you‘re the type of person to revel in someone getting cancelled for somewhat they said ten years ago you’re just ensuring that one day you’ll be cancelled for somewhat you said today. You can’t predict what’ll be offensive in the future: You don’t know who the dominant mob will be. (Ricky Gervais)
De Bello Gallico
ein Asterixhaar
mitten auf meiner Wange
trotzt dem Rasierer
Unglaublich:
schon im November
Orangenhautkrater im
Schokolebkuchen!
Adventskranz
über die Jahre
kommt es mir vor als liefen
die Kerzen im Kreis
Dezembernacht
kein Mondschein nur das
Licht der Putzkolonne ganz
oben im Hochhaus
Adventsvergnügen
im Rotlichtviertel
fesseln die Freier Frauen
mit Lichterketten
Auf der Galerie
Opernkritik frei nach Franz Kafka
Romeo stirbt und
Julia weint und ich muss
tatenlos zusehn
Make-up
Fachleute warnen
künstliche Wimpern machen
haarige Augen
Wintergedichte
eine Warnung
kein Wort über Schnee!
sonst schmelzen die Verse dir
unter der Feder
Wellness in Kiel
sie reist zur Ostsee
zu Hause träumt ihr Kater
traurig von Sprotten
Fünfziger Jahre
Spitze und Strapse
unter biederen Röcken
Licht unter Scheffeln
Bettwarentest
Kamelhaardecke
Vorsicht! kaum liegst du drunter
bilden sich Höcker
Abhilfe
draußen stockdunkel
deshalb träum ich mir drinnen
was doppelt Helles
Dankbares Publikum
morgens erzähl ich
Seife und Handtuch Schwänke
aus meinem Leben
Kahle Linde
ein einziges Blatt
wahrscheinlich der Kapitän
harrt aus bis zuletzt
Novembermorgen
ein Fünkchen Sonne
macht mir den grauen Himmel
schon fast wieder blau
Wäscheboutique II
Hemdchen und Höschen
als coole Gangstermasken
für Lustüberfälle
Wäscheboutique I
die leeren Teile
geordnet in Reih und Glied
Wildwestfassaden
Geständnis
ein schöner Hintern
sei ihm bei weitem lieber
als Kriegsnachrichten
Erscheinung im Park
die Nachbarin schwebt
an einem knallroten Schirm
durch schrägen Regen
Novembersonntag
die Bäckerin döst
heute kommen die Kunden
nicht aus den Betten
Richtig flirten!
Nachpfeifen geht nicht
besser man legt sich der Frau
schweigend zu Füßen
Putzkolonne
Kohlmeisen picken
im Herbst die fetten Spinnen
von meinem Fenster
Strandgedanken
enthaart tätowiert
mit Kunststoff aufgepolstert
wo bleibt da der Mensch?
Schulschluss
bewegte Mütter
grätschen mit sanftem Seufzen
auf Lastenräder
Spaziergang am See
den Rock voller Wind
ein stampfendes Dickschiff mit
knatterndem Segel
Dame auf Scooter
reglos im Fahrtwind
zartes Madonnenstandbild
auf Trittbrettwolke
Nachtspaziergang 1965
in dunklen Gärten
Möhren gestohlen süße
sandige Küsse
Am Wäscheschrank
das rote Höschen
gestern verbraucht für heute
nur noch ein graues
Neue Kleider
wie reizend nicht mehr
nur nackte Kaiser sondern
auch Kaiserinnen
Oktober in Kyoto
dicke Koffer und
dicke Gesichter Menschen
auf Bildungsreise
Waschsalon
ein Damenhöschen
in meinem Korb doch leider
niemand zu Hause
Bergpfad
die schweren Schuhe
ringsum mit Erde verschmiert
schöner als sauber
Smartphoneabhängig
fällt mal der Strom aus
dann sind die ohne Freunde
und ohne Gehirn
Spätsommer in Kyoto
verschwitzte Hose
mein Geldbeutel klebt und schmatzt
wenn ich bezahle
Supermarkt in Kyoto
riesiger Schlapphut
schiebt Einkaufswagen sonst ist
niemand zu sehen
Helsinki Airport
fauchend und raunend
frisst sich ein feuchtes Flugzeug
in fette Wolken
Schlagzeug
Tina liebt Trommler
der Klang ist es nicht es sind
die starken Arme
Reiseerfahrung
wo man auch hinkommt
der Mond ist immer schon da
Hase und Igel
Mutter am Spielplatz
sie ist begeistert
ihr Söhnchen brüllt noch lauter
als alle andern
Ein Auserwählter
aus schwarzen Wolken
ein Sonnenpünktchen mitten
auf seine Glatze
Augustnachmittag
am blauen Himmel
allerhand weiße Wölkchen
wie Schaum ohne Bier
Plötzlich Sommer
aus tausend Röcken
hängen jetzt weiße Beine
wie Tropfsteinzapfen
Lebenskünstler
nachträglich träumt er
sich jeden Liebesschiffbruch
zum Schäferstündchen
Brautunfall
kaum setzt sie sich hin
klappt ihr die Krinoline
vom Fuß ins Gesicht
Gärtner Franke
bei Neumond träumt er
in seinem Gärtchen wüchsen
endlich Bananen
Blick in die Welt
warum ich lache?
der Ernst ist mir seit Jahren
gründlich vergangen
Ehebett
auf beider Nachttisch
vereiteln Hochzeitsfotos
Fluchtphantasien
Friedliche Koexistenz
auf meinem Schreibtisch
wohnt jetzt eine Wollmaus
ich zwinkre ihr zu
Stillleben
noch schlaff auf dem Tisch
ihr neuer Strandbikini
mit Raubtiermuster
Frühstück in Tainan II
er ist noch nicht wach
doch seine Kiefer kauen
schon ganz von selber
Mahlzeit
er schlürft so selig
als säß im Suppenschälchen
die süße Susi
Taiwanesische Landwirtschaft
zum Schutz vor Vögeln
Kürbisse und Bananen
in Spitzenwäsche
Frühstück in Tainan I
Köpfe verschmelzen
über dem Tisch zu einem
und der schlürft Suppe
Brautpaar
sie gibt sich verträumt
aber sie packt den Zukünft’gen
fest am Schlafittchen
Zum Bahnhof, bitte!
去火車站!
im Taxi träufelt
sirupsüßes Gesinge
bis auf die Felgen
Kunstmuseum Tainan
was ist schon ein Bild
gegen die Frau die dasteht
und es bewundert?
Auf dem Motorroller
(Tainan)
vorn kühlt der Fahrtwind
unten erwärmt des Motors
sanftes Vibrato
Hot Pants
(im Café Donutes, Tainan)
modisch verschlissen
was Saum war ziert als Strumpfband
die Oberschenkel
Empfangsdame
in Pumps und Kostüm
befehligt sie barsch eine
Busladung Rentner
Frau Huang
schicker Ballonrock
ein Teelicht zwischen die Knie
und schon hebt sie ab
Zurück ins Büro
nach William Carlos Williams (1883-1963)
zwei junge Damen
Sexgaleonen
mit prallen Segeln
schlingern und schwanken
einträchtig über
die breite Treppe
eine von beiden
(ich folge langsam
mit dem Passatwind
meiner Verehrung)
klapst sich im Gehen
sanft auf die Schenkel
The Return to Work
by William Carlos Williams
Promenading their
skirted galleons of sex,
the two office assistants
rock unevenly
together
down the broad stairs,
one
(as I follow slowly
in the trade wind
of my admiration)
gently
slapping her thighs.
Ankunft in Tainan
Wolken und Regen
die Tempelgötter sind jetzt
nur halb so golden
Ikarus
vor meinem Fenster
im fünfundzwanzigsten Stock
flattert ein Falter
Sommertrend
weite Gewänder
drinnen die sanfte Unwucht
von Wackelpudding
Trauriger Mai
Kaminholz gehackt
auf Feuer gefreut aber
kein Winter in Sicht
Revolutionäre
Rundumblick verwirrt
deshalb gucken sie gerne
durch Ofenrohre
(frei nach dem Freiburger Philosophen und Psychologen Robert Heiß (1903-1974))
In letzter Minute
beim Weltuntergang
sind plötzlich alle einig:
so geht’s nicht weiter
Fahrradausflug
sie treten langsam
aber sie fahren pfeilschnell:
Elektrorentner
Maxime für den Schreibtisch
man muss die Dinge
nur lange liegen lassen
dann können sie weg
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