eine Kindheitserinnerung
eingezwängt zwischen
Mänteln und Miedern
unten im Dunkeln
entdeckt man mich nie
ich atme Moschus
und Mottenkugeln
und das Aroma
von Tante Marie
eine Kindheitserinnerung
eingezwängt zwischen
Mänteln und Miedern
unten im Dunkeln
entdeckt man mich nie
ich atme Moschus
und Mottenkugeln
und das Aroma
von Tante Marie
mein Mittagsschläfchen
beweist mir schlüssig
dass dieses Leben
so wichtig nicht ist
zwei Stunden war ich
traumlos versunken
und habe die Welt
durchaus nicht vermisst
in allen Wipfeln
goldene Sonne
blassblauer Himmel
ein Herbsttag aus Glas
mitunter prasseln
reife Kastanien
durch Laub und Zweige
und poltern ins Gras
vom Sonnenschirm rinnt
der laue Regen
auf meinen Balkon
ich sitze trocken
die Tropfen läuten
im halbvollen Bauch
der Blechgießkanne
wie Tempelglocken
ich fühle mich wohl
mit grauen Haaren
älter zu werden
ist gar nicht so schwer
nur dass die Frauen
in meinem Alter
genauso alt sind
das ärgert mich sehr
erst seit mir klar ist
wie rings die Menschen
im Namen des Sinns
die Messer wetzen
weiß ich auch wenn der
den Frommen missfällt
friedlichen Unsinn
wirklich zu schätzen
im ersten Akt schon
greift sie nach unten
und nimmt den linken
Schuh in die Hand
folgen im zweiten
dann ihre Strümpfe?
und erst im dritten?
ich bin gespannt
ein Spaziergang
noch vor den Toren
hämmernde Bässe
Pizza und Bierdunst und
Stumpfsinn und Krach
drinnen übt später
wer auf dem Cello
zu Brunnengeplätscher
Suiten von Bach
Großväter sind sie
und beinah siebzig
mit grauen Haaren
und tausend Falten
eigentlich längst schon
in Rente und alt
aber oh Wunder
noch ganz die alten
Zedernholzsäulen
goldene Buddhas
wehender Weihrauch
was ich hier finde?
friedliche Stille
in der ich schließlich
auch vor mir selber
völlig verschwinde
(ich lese im Zug bei Yokohama ein Haiku von Basho)
er sei so heißt es
im Dunst am schönsten
dann träume man ihn
und sehe ihn nicht
als ich das lese
erscheint er selber
vor meinem Fenster
ein Pickel aus Licht
misty showers
the day one cannot see Mount Fuji
it is more attractive
Matsuo Basho (1644-1695); In: Basho. The Complete Haiku. Translated, annotated and with an introduction by Jane Reichhold. New York: Kodansha 2008. 76)
Brille abnehmen
das Buch zuklappen
schon fast im Halbschlaf
das Licht ausmachen
mir einen Traum in
Reichweite legen
und ganz zum Schluss noch
die Welt auslachen
Wie sich der Dichter beinahe mächtig verhauen hätte
silbernes Mondlicht
glänzt auf den Zäunen
und auf den Wiesen
am See
Unsinn! kein Mondlicht
nur dunkle Wolken
was silbern schimmert
ist Schnee
nach Tannenbäumen
flackernden Kerzen
schmelzenden Liedern
und Festschalmeien
brauch ich was Derbes
mich kommt die Lust an
einfach mal lauthals
Fotze zu schreien
fotze, f. cunnus, vulva, ein
unhübsches, gemiedenes wort,
bei dem die sprachforschung
doch manches zu erwägen hat.
(Deutsches Wörterbuch von
Jacob und Wilhelm Grimm)
jetzt noch verreisen?
am Schalter wartet
ein rotes Blüschen
mit blonden Haaren
solange die mir
das Ticket verkauft
werde ich gern auch
zur Hölle fahren
ich Narr ich habe
Stunden um Stunden
zeitunglesend am
Schreibtisch gesessen
und in alberner
Angst um mein Leben
just dieses Leben
beinah vergessen
manche fragen und
wollen nichts wissen
andere schweigen
und antworten nicht
oder sie schreiben
nur von sich selber
ich lese lieber
den Wetterbericht
noch als felsgrauer
knorriger Alter
kann ich’s nicht lassen
Reime zu machen
in längst verwelkten
Wörtern zu wühlen
und lauthals über
mich selbst zu lachen
敬安 (1852-1912): 自笑
寒巖枯木一頭陀
結習無如文字何
自笑強書塵世字
卻嗔倉頡誤人多
Jingan (1852-1912): Laughing at Myself
Cold cliffs, dead trees, and a monk
who, trapped by habit, can’t get rid of written language.
Laughing at himself, he writes the words of the mundane world,
while venting his anger at Cang Jie* for misleading mortals.
*Cang Jie, said to be the Official Historian of the Yellow Emperor an creator of the Chinese Characters.
(A Full Load of Moonlight. Chinese Chan Buddhist Poems. Translated by Mary M. J. Fung and David Lunde. Hongkong: Musical Stone Culture 2014. 117.)
wer liest denn heute
noch lange Briefe?
ich spare Umschlag
Porto und Spesen
finster entschlossen
das was ich schreibe
zukünftig höchstens
selber zu lesen
der Föhnsturm zerreißt
die Wolken zu Schmarrn
mit Puderzucker
die Baumkronen rauschen
ich sitze auf einer
rissigen Holzbank
und möchte trotzdem
mit niemandem tauschen
Meisen, die wegzischen. (Rolf Dieter Brinkmann)
trotz grauer Wolken
und rauher Winde
zwischert und flattert
im Garten die Meise
ich mach es wie sie
ich zwitschre ein Lied
dann fasse ich mir
ein Herz und verreise
draußen schmettert die
freundliche Amsel
im schwarzen Gewand
ihr Tü-türi-lü
ich wache auf und
schließe das Fenster
das Tierchen singt schön
nur etwas zu früh
das sogenannte
Interessante
kann mir inzwischen
gestohlen bleiben
weg mit der Zeitung
ich will mir lieber
von Wind und Wolken
selber was schreiben
Cela ne m’intéresse pas tellement de vivre en faisant des choses intéressantes. Je rêve de m’arrêter, de zigzaguer, de faire de chaque journée une petite vie. Je rêve de contempler mon nombril. J’aimerais prendre des trains pour n’importe où … (Georges Wolinski: Lettre ouverte. In: J’étais un sale phallocrate. Paris: Albin Michel 1979. 55)
der Regen ist mir
herzlich willkommen
soll er nur reichlich
strömen und schütten
als Wasserwerfer
des Himmels treibt er
die lauten Menschen
in ihre Hütten
der Südsturm klimpert
den Dachpfannenblues
die Birken tanzen
ein wüstes Ballett
der Wetterfrosch sitzt
ganz unten im Glas
fürs erste bleibe
ich heute im Bett
die treuen Beine
tragen mich tapfer
als hätten sie nichts
andres im Sinn
laufen die gar am
Ende noch weiter
wenn ich einst selbst schon
beerdigt bin?
Peter besticht mit
pechschwarzer Mähne
Sabines Haarpracht
glänzt silberfuchsblau
Eva soll hört man
überall blond sein
nur ich Versager
bin immer noch grau
isch kann et nit jlöve
de Tied verjeht flück
nu is dä Jung all
rischtisch Professer
dat deid äwwer nix
de Mamma bliev isch
wenn et drup aankütt
weiß isch et besser
künftig verstopfe
ich mir die Ohren
ganz ohne Musik
und einfach nur dicht
drinnen herrscht Ruhe
draußen können die
Leute dann lärmen
ich höre sie nicht
eine spanische Erinnerung
das kleine Hotel
das quietschige Bett
die scharfe Marie
die lauwarme Nacht
als wir am Morgen
zum Frühstück schlichen
haben die Leute
verstohlen gelacht
völlig entgeistert
höre ich wie ich
reichlich gewagte
Pläne verkünde
da bringt mich mein Hirn
in Teufels Küche
ich kann nur hoffen
es hat seine Gründe
was ist das? hab ich
mich früher gefragt
wer der nicht aufmacht
wenn man bei ihm klopft?
oder am Ende
eine Art Klempner
der etwas zuhält
damit es nicht tropft?
am Ostseeufer
hinter den Dünen
krumme Kiefern und
Krähengeschrei
fernab von allem
ziehen die Stunden
die mir noch bleiben
an mir vorbei
蔔擇幽居地
天臺更莫言
猿啼溪霧冷
嶽色草門連
折葉覆松室
開池引澗泉
已甘休萬事
采蕨度殘年
I chose a secluded place to live
Tientai says it all
gibbons howl and the stream fog is cold
a view of the peak adjoins my rush door
I cut some thatch to roof a pine hut
I made a pool and channeled the spring
glad at last to put everything down
picking ferns I pass the years left
(Han Shan, fl. 730-850. The collected songs of Cold Mountain / translated by Red Pine. Port Townsend, Washington 2000. 88f., 79)
will ich in diesem
Haufen von Reimen
der mir im Schädel
brodelt und gärt
schließlich eine Art
Weltformel finden
die all den Irrsin
triftig erklärt?
Laozi lehrt uns
der Dumme redet
während der Weise
verschwiegen bleibt
was aber ist dann
Laozi selber
wenn er fünftausend
Verszeilen schreibt?
白居易: 讀老子
言者不如知者默
此語吾聞於老君
若道老君是知者
緣何自著五千文
Bai Juyi (772-846): Laozi lesen
die Redenden wissen nichts, die Wissenden bleiben stumm
das habe ich von dem alten Gentleman gehört
wenn der alte Gentleman ein Wissender war
warum hat er dann fünftausend Verse geschrieben?
Scharen von Vögeln
südwärts gezogen
ein Wölkchen müßig
vorbeigeflogen
mein Birnbaum rührt sich
nicht von der Stelle
der bleibt mir weiter
herzlich gewogen
李白 獨坐敬亭山
眾鳥高飛盡
孤雲獨去閑
相看兩不厭
只有敬亭山
Li Bai (701—762): Allein im Angesicht des Jingtingbergs
Scharen von Vögeln sind in große Höhen geflogen
eine einsame Wolke ist müßig fortgetrieben
wir beide werden nicht müde einander anzusehen
nur der Jingtingberg und ich
Text nach: Lu Shuxiang/ Xu Yuanzhong: Gems of Classical Chinese Poetry in Various Translations. Hongkong: Joint Publishing 1988. 139.
früher las man nur
ab und zu Zeitung
heute dagegen
ist man bestrebt
jede Minute
online zu sein um
sicherzugehen
dass man noch lebt
vor meinem Fenster
der treue Birnbaum
in meinem Spiegel
vertraute Falten
auf meinem Schreibtisch
duftender Grüntee
melde gehorsamst
alles beim alten
ich schwebe ins Bad
auf Jünglingsfüßen
blicke mein Bildnis
im Spiegel an
und pralle zurück
mit diesem Graukopf
tauge ich grad noch
als Weihnachtsmann
rings Glas und Spiegel
ich sehe unscharf
weil ohne Brille
doch so viel ist klar
da steht im warmen
rieselnden Regen
ein nackter Affe
mit silbernem Haar
Frage an einen Besucher aus der alten Heimat
hast du dort kürzlich
die kleine Rote
durch meine Straße
spazieren sehen?
die pflegte damals
frühmorgens immer
im Wildkatzenjäckchen
zur Schule zu gehen
君自故鄉來
應知故鄉事
來日綺窗前
寒梅著花未
(王維)
Du kommst gerade aus meinem alten Dorf und weißt sicher, wie die Dinge dort stehen: Blühte, als du aufbrachst, die Winterpflaume vor meinem Fenster? Wang Wei (701-761)
zuerst sich sputen
glühen und brennen
dann das banale
Prinzip erkennen
schließlich das Leben
brühwürfelartig
im Kopf verdichten
und lachend verzichten
oben im Bergwald
tragen die Buchen
an ihren Ärmeln
quietschgrüne Biesen
unten dagegen
brettert ein Rapsfeld
als gelber Postbus
quer durch die Wiesen
(Shanghai)
sie lässt die Stiefel
wie Trommelschlegel
auf den polierten
Steinboden knallen
ich bin ihr dankbar
ihr nachzustarren
wäre mir sonst
nie eingefallen
man hat uns Kindern
feste Zeiten für
Schlafen Essen und
Trinken gegeben
und niemand hat uns
im Auto kutschiert
wie konnten wir das
bloß überleben?
liebe Gedanken
seid bitte so nett
und haltet den Mund
von drei bis um vier
ich lege mich für
ein Stündchen aufs Bett
und brauche Ruhe
vor euch und vor mir
Herr ich empfinde
nicht einfach Reue
bei mir liegt der Hund
noch tiefer begraben
ich muss bereuen
dass ich bereue
einst nicht beizeiten
gesündigt zu haben
rings übervolle
Terminkalender
besinnungsloses
Hasten und Rasen
ich aber sitze
heiter am Fenster
und reime Wörter
zu Seifenblasen
ha! jetzt bewegen
die lauten Nachbarn
stumm ihre Münder
alles ist leise
nur schweigen leider
hinter den Scheiben
nun auch beharrlich
Amsel und Meise
ich antworte ihr
sie antwortet nicht
telefoniert sie?
was mag sie treiben?
ich schreibe nochmal
ist sie jetzt offline ?
ach was! sie kann mir
gestohlen bleiben
Setzt sich das […] System parallel mit mehreren verschiedenen sozialen und kommunikativen Umwelten auseinander, so ist anzunehmen, dass die Aufmerksamkeit auf diese verschiedenen Umwelten und die in [ihnen] gegebenen kommunikativen Situationen nach einer individuellen Prioritätenliste verteilt wird […]. (Beisswenger, Michael: Sprachhandlungskoordination in der Chat-Kommunikation. Berlin 2007. S. 147.)
heute kein Kraxeln
auf steile Gipfel
kein Turnen über
Grate und Klüfte
sitze im Garten
bei einem Glas Wein
sanft schnurrt die Katze
an meiner Hüfte
Abend für Abend
beim Lichtausknipsen
die klare Einsicht
das Leben ist Stuss
morgens erscheint es
mir wieder sinnvoll
allein schon weil ich
ja frühstücken muss
um nasse Bäume
wabert der Nebel
vor meinem Fenster
nur grauer Brei
da plötzlich leuchten
auf dem Balkonsims
gelbgrüne Federn
ein Papagei
aus der Geschichte
sagte ich eifrig
lernen die Menschen
es besser machen
noch heute sehe
ich Lehrer Jäckel
am Fenster stehen
und lauthals lachen
man möge sich im
Beschwerdefalle
eine Etage
höher beklagen
die meisten Dinge
entscheidet mein Hirn
ich selbst hab häufig
gar nichts zu sagen
Was wir aus alltäglicher Selbstbeobachtung vermuten, dass nämlich unsere bewussten Willensentscheidungen oft durch unbewusste Vorentscheidungen bestimmt sind, wurde schon vor Jahrzehnten durch die Arbeiten von Benjamin Libet und seinen Mitarbeitern eindrucksvoll bestätigt: Libet demonstrierte, dass unser Gehirn unsere Handlungen zu einem Zeitpunkt in die Wege leitet, zu dem uns noch gar nicht bewusst ist, dass wir handeln wollen. Es sieht so aus, als ob die Rolle des Bewusstseins darauf beschränkt sei, gegen die selbständigen Aktivitäten unserer unbewussten Programme gelegentlich ein Veto einzulegen. Die Initiative zu unseren Handlungen scheint aber von diesen Programmen und nicht vom Bewusstsein auszugehen.
die Anrede fehlt
ein halbes Sätzchen
der Gruß abgekürzt
wie ärgerlich trist
von dieser Blonden
die eitel aber
bei Licht besehen
so blond gar nicht ist
im Kaufhaus kommt mir
dieselbe Dame
kurz nacheinander
zweimal entgegen
ist sie ein Zwilling?
sie das zu fragen
erscheint mir schließlich
doch zu verwegen
das zweite Bildnis
nicht von da Vinci?
das Haar zu wellig?
der Himmel gelber?
ich mach es einfach
wie Schulmeister Wutz*
und tusch die Lisa
klammheimlich selber
* Der wichtige Umstand ist nämlich der, […] daß Wutz eine ganze Bibliothek – wie hätte der Mann sich eine kaufen können? – sich eigenhändig schrieb […] jedes neue Meßprodukt, dessen Titel das Meisterlein ansichtig wurde, war nun so gut als geschrieben oder gekauft : denn es setzte sich sogleich hin und machte das Produkt […]. Er war kein verdammter Nachdrucker, der das Original hinlegt und oft das meiste daraus abdruckt : sondern er nahm gar keines zur Hand. Daraus sind zwei Tatsachen vortrefflich zu erklären : erstlich die, daß es manchmal mit ihm haperte und daß er z.B. im ganzen Federschen Traktat über Raum und Zeit von nichts handelte als vom Schiffs-Raum und der Zeit, die man bei Weibern Menses nennt. Die zweite Tatsache ist seine Glaubenssache : da er einige Jahre sein Bücherbrett auf diese Art voll geschrieben und durchstudieret hatte, so nahm er die Meinung an, seine Schreibbücher wären eigentlich die kanonischen Urkunden, und die gedruckten wären bloße Nachstiche seiner geschriebenen […]. (Jean Paul: Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal. Eine Art Idylle. 1793)
plötzliche Böen
vor dem Ballettshop
Rollständer stürzen
ein Schirm wird geknickt
zwei Professoren
beinahe unter
Tutus und Stulpen
beim Denken erstickt
wie konnte ich nur
dem Zimmermädchen
die Socken vertauscht
zum Waschen geben
nun trag ich heimlich
rechts beige und links grau
und darf die Hosen-
beine nicht heben
pausenlos murmelt
mein Hirn tagsüber
so durcheinander
von Gott und der Welt
dass ich am Abend
meist selber froh bin
wenn es dann endlich
die Klappe hält
die Nachbarin die
alles vorherweiß
suche ich immer
möglichst zu meiden
mir reicht ein Unglück
wenn es dann da ist
ich muss es nicht im
Vorgriff erleiden
unter den Stiefeln
wackeln die Steine
zersplitternder Schutt
auf Schritt und Tritt
der Fels kriegt Risse
ich kriege Falten
die Alpen bröckeln
ich bröckle mit
Bergpanorama
Täler und Wälder
eisiger Gipfel
leuchtende Ketten
ich aber seh nur
diese Brünette
in Radlerhosen
bin ich zu retten?
schrillender Wecker
gähnende Koffer
hastiges Frühstück
jähe Erregung
Reisen wär herrlich
ohne den Wechsel
aus sanfter Ruhe
in die Bewegung
flackernde Blitze
der Birnbaum taghell
mein Traum wird jäh vom
Donner zerrissen
sie lief im Schlitzrock
direkt auf mich zu
und dann? ach niemals
werd ich das wissen
mein Schlips hat am Halse gekniffen
die Enge war kaum zu ertragen
hab frech auf die Schlinge gepfiffen
leb lieber mit offenem Kragen
was reitet mich bloß
werdet ihr fragen
täglich Reime auf
Zettel zu kritzeln?
muss ich die Welt schon
täglich ertragen
will ich auch täglich
über sie witzeln
frühmorgens in der
Glasduschkabine
nutz ich die Brause
als Zweittelefon
und sage allen
endlich die Meinung
hoffentlich merken
die sich die Lektion
ich bin zwar getauft
doch bin ich nicht fromm
und wenn ich drum nicht
in den Himmel komm
dann lad ich dich gern
in die Hölle ein
ich will dir ein zärt-
licher Teufel sein
anlässlich eines Besuchs in der Hongkong Baptist University 2005
meist lob ich mir ein
gutes Gewissen
als sprichwörtlich
sanftes Ruhekissen
manchesmal wünsche
ich mir dagegen
ein Sündenpolster
es unterzulegen
mich fragen Sie nach Jugendsünden?
ich war katholisch war ein Schaf
hab keine Sünden zu verkünden
war ach zum Sündigen zu brav
Wolken die über
den Himmel fegen
winzige Röcke
Bäume im Regen
sie teilt das Chaos
in schmale Streifen
streng parallel und
leicht zu begreifen
das Licht ausgeknipst
und lauthals gelacht
nun kann die Welt mir
gestohlen bleiben
so möcht ich sterben
auf alles pfeifen
und heiter ins Nichts
hinübertreiben
in kahlen Bäumen
krächzen die Krähen
ich stehe über
die Inschrift gebeugt
da spür ich plötzlich
wie sie von unten
tief aus dem Erdreich
mich kritisch beäugt
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