Zwerghähne krähen
hinter dem Strauch.
Lacht mir die Wirtin
krähe ich auch.
Kategorie-Archiv für Männer Frauen Liebe Mode
Bayrische Gedichte
Frage und Antwort
i sitz hia
du sitzt do
du frogst mi
„mogst mi no?“
du sitzt do
i sitz hia
i geb zua
a bissl scho
Zettel für Zenzi
i hock brav hia
du hockst brav do
wannst aba hia warst
nachha – oho
Loisl seufzt
Zenzi frogt mi
„mogst mi no?“
mögen möcht i
oiwei scho
können könnt i
sowieso
aba Zenzi
is net do
Zenzi
Zenzi hot Augerln
braun wia a Reh
wann sie mi oschaut
ist s wunderschee
wann sie sie zusperrt
spür i an Schmerz
von ganz herunten
hinauf bis ins Herz
Berg und Tal
ob i sie mog?
i mechts scho megn
doch dera Liab
hat goar koan Segn
hoch auf der Oim
hüat sie die Ziagn
i grein im Tol
und ko s net kriagn
Dirndl
a Dirndl is grod
als wiara Haus
hinta die Mauern
do kennst di net aus
doch drobm beim Fensta
schauts Madl heraus
Die vier Löcher im Dirndl
zwoa fia die Pratzn
oans fia die Fiaß
und oans
a goanz a scheens
fias Madl selber
Das Spitzenhöschen
ein Beitrag zur Nachhaltigkeitsdiskussion
die Susi hat es
bei mir vergessen
Sabine hat es
rasch durchgespült
es angezogen
und sich dann Jahre
in Susis Seide
sauwohl gefühlt
Ein Glücksfall. Dass die Sache auch weniger glimpflich hätte ausgehen können, zeigt der folgende Dialog zwischen den beiden in Wohngemeinschaft lebenden jungen Ärztinnen Angela und Caroline aus der britischen Fernsehserie „Green Wing“ (2004-2006):
Angela: Erm, in private, if that’s OK?
Caroline: Er, yep.
Angela: Maybe I should have waited. It’s just that it’s been bugging me and getting me annoyed, and I don’t want to get all stressed out and angry cos it makes me look ugly.
Caroline: What is it? Have I upset you?
Angela: Are you wearing my pants?
Caroline: What?
Angela: My white tanga briefs. They’re plain cotton, not sexies, but they’re my cute sportsies.
Caroline: No, I haven’t got them.
Angela: Ah, because I think you have. I put them in the drier, but they were gone today when I came to iron them.
Caroline: You iron your pants?
Angela: Of course. So if you could return them, I’ll say no more about it.
Caroline: But I haven’t taken them.
Angela: You’re wearing them now, aren’t you? Caroline, you let your dirty washing stack up, you were desperate for a fresh pair. I understand, but it’s the principle, you see. It’s theft. I will not wear them after your vagina has been in them – I’ll burn them – but I want what is legally mine.
Caroline: Shut up!
Angela: What?
Caroline: I haven’t taken your pants, I wouldn’t want to. Stop being so anal.
Angela: Give me back my pants.
Caroline: Don’t make me get cross.
Angela: You see, you’ve obviously got something to hide. Give me back my pants.
Caroline: Yes, I have died and gone to heaven. (…)
Verpasst
als sie sich vorbeugt
glänzt zwischen T-Shirt
und Hosengürtel
ein Streifen Tattoo
ich greif zur Brille
schon steht sie aufrecht
und ach der Hemdspalt
schnappt wieder zu
Wintergarderobe
sie trägt gern dicke
wollene Strümpfe
vom Straps beinabwärts
bis zu den Zehen
die halten sie warm
nur ganz ganz oben
kann man noch manchmal
Gänsehaut sehen
Der Traum von der Seefahrt
ich wäre so gern
ihr Badeentchen
dann schwebte ich sanft
auf kleinen Wellen
im knisternden Schaum
und dürfte zög sie
plötzlich den Stöpsel
an ihr zerschellen
Im Bad
lauwarmes Wasser
rinnt mir in Strömen
sanft über Schultern
Rücken und Bauch
süße Gewissheit
jenseits der fernen
Schneewittchenberge
duscht sie jetzt auch
Nachts
in meinen Träumen
murmle ich manchmal
längst vergessenes
Liebeslatein
erschrocken blinzle
ich dann zum Wecker
drehe mich um und
schlaf wieder ein
Emojis
In der Straßenbahn
sie hören nichts mehr
Stöpsel und Kabel
hängen verzwirbelt
aus ihren Ohren
was habe ich bloß
so ganz alleine
in einem Schwarm von
Tauben verloren?
Fototermin
sie könne sich jetzt
nicht knipsen lassen
ihr Kleines Schwarzes
sei noch beim Schneider
und ohne das Kleid
posiere sie nicht
was will man machen?
so denkt sie leider
Spitzenwäsche
durch kleine Löcher
in schwarzer Seide schaut sie
mir auf die Finger
Alter Casanova
Eifersucht
das Spitzenhemdchen
mag Josefines
verhasste Tattoos
schon gar nicht mehr sehn
die dürfen wenn es
drauf ankommt bleiben
es selber aber
es selber muss gehn
Die Evolution des Tattoos
Überbevölkerung
Selbstbewusst
sie brauche sagt sie
keinerlei Ratschlag
sie suche keine
Helfer und Tröster
sie ist sich sicher
sie habe auch nicht
den kleinsten Fehler
das ist ihr größter
Novemberstrip
der Wolkenvorhang
nur halb geöffnet
die Mondin tänzelt
im Scheinwerferlicht
eine blässliche
Arschbackenkugel
mit blauen Flecken
mehr sehe ich nicht
Aktuelle Herrenfrisur
die Schädelwände
reinlich geschoren
dass seitlich nicht mehr
ein Härchen steht
und nur ganz oben
im Hirn verwurzelt
als Dachverzierung
ein Kressebeet
Herbstregen
die Bäume im Park
eine Versammlung
von gut betuchten
uralten Tanten
grellbunte Blusen
Köpfe im Nebel
und an den Fingern
tausend Brillanten
Oktobernacht
das helle Mondlicht
wandert allmählich
über mein Deckbett
vom Fuß bis zur Brust
mal angenommen
hier läge statt des
Deckbetts Philine
ich stürbe vor Lust
Geschmackssache
Peggy gefällt sich
mit ihren Tattoos
in meinen Augen
sind die dagegen
als hätte Peggy
als Kritzelpapier
irgendwo auf dem
Schreibtisch gelegen
Klassenbewusstsein
Hugo fährt nur in
der ersten Klasse
die zweite sei ihm
gar nicht gemäß
ach was! ob Klappsitz
ob Luxussessel
was Hugo polstert
ist sein Gesäß
Ein Gedächtniskünstler
Bambus
schade! nun kann ich
sie nicht mehr sehen
die Ritze im Zaun
von Blättern verdeckt
so schön der Sommer
ansonsten sein mag
die Nachbarin hat
er vor mir versteckt
„Love Seen in Summer“
My secret spying
through the cracks in her fence
is impeded now
by thick growth on the bamboo
that tells us summer has come.
Kagawa Kageki (1768-1843). In: Traditional Japanese Poetry.
An Anthology. Translated, with an Introduction, by Steven D. Carter.
Stanford: Stanford University Press 1991. 434.
Eine Verflossene
neulich besucht mich
im Traum Elfriede
Bluse und Polen
meilenweit offen
als ich erwache
bin ich für Stunden
von ihren Düften
völlig besoffen
Sisyphos seufzt
Rendezvous
angesichts ihrer
leuchtenden Augen
und ihres golden
glänzenden Haares
habe ich Dummkopf
tatsächlich geglaubt
da käme noch was
aber das war es
Rette sich, wer kann!
Königin und Kammerherr
Skybar
pechschwarze lange
künstliche Wimpern
groß wie die Schirme
von Baseballkappen
sie müht sich redlich
die schweren Lider
schläfrig zu öffnen
und zuzuklappen
Nur dies
ich fühle mich wohl
mit grauen Haaren
älter zu werden
ist gar nicht so schwer
nur dass die Frauen
in meinem Alter
genauso alt sind
das ärgert mich sehr
Pfingstverspätung
Sommershorts
vorn aus den Beinchen
baumeln die Taschen
die in das Höschen
selber nicht passen
Jennifer möchte
nur zu verständlich
endlich auch mal was
raushängen lassen
Gut und Böse
Praktischer Ratschlag
für J. N.
weil Susi unter
Scheren Rasierern
Wachs und Pinzetten
so schrecklich leidet
empfehle ich ihr
ein kleines Schäfchen
das Haare frisst und
nachts auf ihr weidet
Schöne Aussichten
mit Siebzig muss ich
die Welt nicht mehr retten
muss nicht mehr fürchten
mit Dreißig zu sterben
Frauengeschichten
sind kaum zu erwarten
was soll mir da noch
die Laune verderben?
Wussten Sie …
wussten Sie dass wir
auch wenn wir noch so
modisch perfekt und
edel verpackt sind
insgeheim unter
unseren Kleidern
ganz unvermeidlich
immerzu nackt sind?
Sitznachbarin in der Oper
im ersten Akt schon
greift sie nach unten
und nimmt den linken
Schuh in die Hand
folgen im zweiten
dann ihre Strümpfe?
und erst im dritten?
ich bin gespannt
Erstaunliches zur Kindermode
Eltern die ihre
Kinder wie Rockstars
Models Clowns oder
Rennfahrer kleiden
wundern sich wenn die
Herrschaften später
hartnäckig unter
Größenwahn leiden
Soleier
„Destroyed Jeans“
Modenachrichten aus Kioto
Dralle Japanerin im Kimono
Kirschblüte im Kiyomizutempel, Kioto
in warmer Sonne
hat sie sich tapfer
über die Treppe
zum Tempel gekämpft
außen die bunte
Seidenroulade
innen sie selber
al dente gedämpft
Japanischer Frühling
eine kleine Blasmusik
gestern noch bliesen
eisige Winde
die Frauen trugen
Hose und Jacke
jetzt jedoch blasen
lässig gekreuzte
Beine in Nylon
keck zur Attacke
Mundschutzmode in Tokio
Meine neue Kniebandage
Ein Ehepaar
Smartphonepärchen
Kevin und Jenny
innig umschlungen
auf einer Parkbank
trotz Hagel und Frost
seltsam sie blättern
nicht ineinander
sondern in ihrer
elektrischen Post
Bärenfang
um uns die Liebe
schmackhaft zu machen
greift die Natur zu
Finten und Schlichen
denkt nur sie hat uns
Schnecke und Schniedel
sozusagen mit
Honig bestrichen
[…] Durch diese mühselige Erfahrung klüger gemacht, fing ichs nachher besser an, der Bären, die so gern nach meinen Bienen und den Honigstöcken stiegen, loszuwerden. Ich bestrich die Deichsel eines Ackerwagens mit Honig und legte mich nicht weit davon des Nachts in einen Hinterhalt. Was ich vermutete, das geschah. Ein ungeheurer Bär, herbeigelockt durch den Duft des Honigs, kam an und fing vorn an der Spitze der Stange so begierig an zu lecken, daß er sich die ganze Stange durch Schlund, Magen und Bauch bis hinten wieder hinausleckte. Als er sich nun so artig auf die Stange hinaufgeleckt hatte, lief ich hinzu, steckte vorn durch das Loch der Deichsel einen langen Pflock, verwehrte dadurch dem Nascher den Rückzug und ließ ihn sitzen bis an den andern Morgen. Über dies Stückchen wollte sich der Großsultan, der von ungefähr vorbeispazierte, fast totlachen. (Rudolf Erich Raspe / Gottfried August Bürger: Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande. Feldzüge und lustige Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen, wie er dieselben bei der Flasche im Zirkel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegt. 1785/1786 ff.)
Vorlesungspause
Worauf es ankommt
es ist gewiss nicht
ihr schneller Wagen
auch nicht ihr Jäckchen
mit Blaufuchskragen
und ganz bestimmt nicht
ihr quittegelber
kurzer Satinrock
es ist sie selber
accidens non est ens, sed entis: Ein
Akzidens ist kein Seiendes, sondern
[eine Eigenschaft] eines Seienden.
(scholastischer Lehrsatz)
Kräutertee
Frauen im Café
ich tappe immer
noch in die Falle
mein dummes Auge
hält ungewollt
Braune und Graue
für Holz und Silber
die Blonden aber
für pures Gold
Dämmerstündchen
sie hat ihn auf ihr
Sofa gebeten
sich selbst und ihm
ein Gläschen erlaubt
ihn angelächelt
und ihm gestanden
er liebe sie sehr
das hat er geglaubt
„The tricks they have.“
(Philip Marlowe in Raymond
Chandlers „The Long Goodbye“)
Café in der Berliner Tucholskystraße
Hymne an die Strumpfnaht
(für Tenor und Orchester)
Führerin durch die
Wüste der Wade!
Mittlerin zwischen
beiderlei Seiten!
rettende Reling
mein müdes Auge
aufwärts bis an den
Rocksaum zu leiten!
Krachlederne
Adventskaffee mit besticktem Sofakissen
Leporello
Eine Sängerin
sie tiriliert im
goldenen Käfig
für alle die ihr
zu Füßen liegen
sie ist der Vogel
du bist das Würmchen
mach dir nichts draus dich
kann sie nicht kriegen
Traumordnung
Kleiner Albtraum
Schneller Aufzug
Smoothies
Der Preis der Schönheit
Nostalgischer Seufzer eines alten Mannes
einst schickten schöne
Frauen mir häufig
ihre Portraits in
duftenden Briefen
heute schicken sie
mir nur noch Fotos
von Gören deren
Rotznasen triefen
Herbstmode
die kleine Frau trägt
riesige Stiefel
aus schwarzem Leder
mit Stulpenkragen
aus denen oben
die schlanken Schenkel
in Seidenstrümpfen
ins Freie ragen
Vernissage
Schwatzen und Lachen
und Küsschen-Küsschen
Prosecco Schnittchen
und blauer Dunst
es geht mal wieder
um flotte Frauen
und faden Fusel
nicht um die Kunst
Chinesisches Frühstück
die schwarzen Haare
in meinem Salat
können mich morgens
keineswegs stören
ich träume vielmehr
beschwingt ja verzückt
von der der diese
Haare gehören
Tempeltouristen
(Nikko)
er trägt Bermudas
und Muskelhemdchen
sie kurze Höschen
zu langen Strümpfen
wären die Buddhas
nicht so erleuchtet
würden sie sicher
die Nasen rümpfen
Im Tōshōgū-Schrein
Feenerscheinung beim Abendessen
urplötzlich über
Lachs und Gemüse
zwischen Silvaner
und Buttertöpfchen
jenseits des Platzes
scheinbar genauso
groß wie mein Salzfass
ihr blondes Köpfchen
Lustgewinn
Unvorteilhafte Hose
Goldenes Dachl
Wiedersehen in Innsbruck
unverhofft läuft sie
mir über den Weg
ich sehe sofort als
alter Verehrer
sie ist wie immer
ganz tadellos blond
nur um die Mitte
ein zwei Pfund schwerer
TV-Wetterfee
ein Beitrag zur Medienkritik
sie meldet freudig
Wärme und Sonne
ist elegant und
lächelt adrett
doch warum rät sie
uns wohl zu grillen?
geht sie mit einem
Metzger ins Bett?
Traum
I. S. gewidmet
ich soll befiehlt sie
ihr Sitzbänkchen sein
auf alle Viere
muss ich mich bücken
nun hockt sie auf mir
doch warum hockt sie
ach ausgerechnet
auf meinem Rücken?
Klare Sache
ein alpinistisches Bekenntnis
läge sie lächelnd
in einer Wiese
und möchte sie mich
auch gerne leiden
wenn nahebei ein
richtiger Berg wär
würde ich mich für
den Berg entscheiden
Tea for Two
zweierlei Siebe
ihr Spitzenmieder
von Röschen durchbohrt
von Gold umflossen
und das für den Tee
den er soeben
mit Fenchelsamen
frisch aufgegossen
Don Ödipus
als Junge liebte
er seine Mutter
sein Vater mischte
sich damals nicht ein
inzwischen trachtet
er bei den Frauen
als Zweiter heimlich
der Erste zu sein
Die Hauptsache
Seniorentreff
Peter besticht mit
pechschwarzer Mähne
Sabines Haarpracht
glänzt silberfuchsblau
Eva soll hört man
überall blond sein
nur ich Versager
bin immer noch grau
Nur ein Viertelstündchen
Nora gehorcht dem
Terminkalender
denn ihre Zeit ist
spärlich bemessen
für fünf Uhr steht da
Sünde begehen!
für fünf Uhr fünfzehn
Sünde vergessen!
et jov Zickde
do hant
die net iesch
jedesmol
op de Uhr
jesenn
(Ludwig Soumagne: Usjesproche nävebee bemerk. Gedichte im niederrheinischen Dialekt. Krefeld: van Acken, 3. Aufl. 1986. 9.)
Herr Keuner und Irma
Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte,
begrüßte ihn mit den Worten:
,Sie haben sich gar nicht verändert.‘
,Oh!‘ sagte Herr K. und erbleichte.
(Bertolt Brecht)
sagt man Herrn Keuner
er sei seit Jahren
ganz unverändert
trifft ihn der Schock
Irma dagegen
wird sie mit ihren
Töchtern verwechselt
kürzt ihren Rock
Used Look
sie trägt moderne
zerrissene Jeans
in denen große
Luftlöcher klaffen
ich denk mir den Stoff
um die Löcher weg
weil ich bemüht bin
Ordnung zu schaffen
Malaga 1980
eine spanische Erinnerung
das kleine Hotel
das quietschige Bett
die scharfe Marie
die lauwarme Nacht
als wir am Morgen
zum Frühstück schlichen
haben die Leute
verstohlen gelacht
Sinneswandel
Ein Gastgeschenk
auf der klingenden
glänzenden Zither
Abschiedsliedsaiten
Sehnsuchtsschriftzeichen
und Bildschnitzerei
so klingt mein Leben
Sommer und Winter
mein Herz bleibt traurig
wie gerne säng ich
von Sonne und Mai
鲍令晖: 拟客从远方来
客从远方来
赠我漆鸣琴
木有相思文
弦有别离音
终身执此调
岁寒不改心
愿作阳春曲
宫商长相寻
Bao Linghui (chin. Dichterin, 5. Jahrhundert n. Chr.): Ein Gast von weither
ein Gast kommt von weither
er schenkt mir eine lackierte tönende Zither
auf dem hölzernen Korpus Sehnsuchtsschriftzeichen / Sehnsuchtsmaserung
die Saiten klingen nach Abschied
mein ganzes Leben bleibe ich bei dieser Tonart
auch im Winter ändere ich meine Stimmung nicht (?)
ich möchte ein Lied von Sonne und Frühling singen
in dem die Töne Gong und Shang einander lange suchen (?)
Ballettbanause
“Water Stains on the Wall”
Cloud Gate Dance Theatre Taibei
Hannover, 4. April 2015
todernster Kampfsport
Tüllpluderhosen
schwarzweißer Marmor
und Tempelglöckchen
ich lobe mir da
ein wenig Humor
beschwingte Musik
und kurze Röckchen
[…] I start by saying that it left me cold throughout its almost 75 minutes. […] Differences of gender are played down: there is no partnering, no touch (though there are male-female duets), and any distinctions between male and female dance style are subtle. […] “Water Stains on the Wall,” devoid of lightness or humor, keeps celebrating the skill of its own style, like a film actor whose performance tells you he is determined to win the Oscar this time. (Alastair Macaulay, The New York Times, 13.10.2011)
Bistro
gefärbtes Blondhaar
Lippenstiftschnute
ein blanker Goldzahn
kurze Klamotten
mit dieser Alten
würde ich gern mal
beim Frühstück über
Jugendwahn spotten
you boys can keep your virgins
give me hot old women in high heels
(Charles Bukowski: One of the Hottest.
Aus: Love is a Dog from Hell. Poems 1974-1977.
Santa Rosa: Black Sparrow Press 1977.)
Marie am Meer
Zeitzeugen
Rotes Sofa
Autodesign
Schüchterne Frage an eine Sexismus-Expertin
„Feindliche Sexisten gehen auch davon aus, dass Frauen das Ziel haben, Macht und Kontrolle über Männer zu bekommen.“ (die Osnabrücker Sozialpsychologin Prof. Dr. Julia Becker in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 14.2.2015)
klar! es ist Unfug
sämtlichen Frauen
Machtgier und Herrschsucht
zu unterstellen!
darf man denn manchmal
trotzdem was merken?
sozusagen in
Ausnahmefällen?
Putiphars Weib
Modenschau
In der Stadt
die jungen Damen
hübsch und unnahbar
mit Blumen im Haar
in roter Seide
von Düften umwölkt
Rouge auf den Wangen
die Männer gaffen
sehen nichts andres
lecken die Lippen
gierige Köter
schnappen ins Leere
dumm vor Verlangen
bald sind die Schönen
graue Gespenster
wir Männer aber
sind in unseren
Hundeherzen auf
ewig gefangen
儂家暫下山
入到城隍裏
逢見一羣女
端正容貌美
頭戴蜀樣花
燕脂塗粉膩
金釧鏤銀朵
羅衣緋紅紫
朱顏類神仙
香帶氛氳氣
時人皆顧盼
癡愛染心意
謂言世無雙
魂影隨他去
狗齩枯骨頭
虛自舐脣齒
不解返思量
與畜何曾異
今成白髮婆
老陋若精魅
無始由狗心
不超解脫地
One day I left the Mountains
and entered the city gate
and saw a group of girls
their noble an lovely faces
with flowered hairdos of Shu
rouge from Yen powder and oil
golden bracelets chased with silver
sheerest silks of red and purple
their rose-colored cheeks were like an immortal’s
their perfume trailed in clouds
the men all turned to look
infatuation darkened their minds
thinking the world had no equals
their hearts and shadows followed behind
dogs gnawing on dry bones
licking their teeth and lips in vain
not knowing how to reflect
how were they different from beasts
and now the girls are white-haired crones
old mean and ghostly
it’s always due to their dog hearts
men don’t ever get free
(Han Shan, fl. 730-850. The collected songs of Cold Mountain / translated by Red Pine. Port Townsend, Washington 2000. 151f., 168)
Buche im Schnee
Casting
Dame mit Hund
Am Fenster
Steckbrief
zierliche Schühchen
seidige Strümpfchen
wippendes Kleidchen
lockige Mähne
niedliche Grübchen
lachende Äuglein
im süßen Köpfchen
eiskalte Pläne
Schwalbenliedchen
(Ronsard für die Westentasche)
vorlaute Schwalbe
halt deinen Schnabel
oder ich rupf dir
die kleinen Schwingen
stutz dir die Zunge
mit scharfem Messer
dann ist es aus mit
Zwitschern und Singen
pfeif meinetwegen
den ganzen Tag lang
in meinem Schornstein
über der Stiege
nur weck mich bitte
ja nicht am Morgen
wenn ich im Traum noch
bei Trude liege
Pierre de Ronsard (1524-1585): Odes retranchées 74
Tay-toy, babillarde arondelle,
Ou bien je plumeray ton aile,
Si je t’empoigne, et d’un cousteau
Je te couperay ta languette,
Qui matin san repos caquette,
Et m’estourdit tout le cerveau.
Je te preste ma cheminée
Pour chanter, toute la journée,
De soir, de nuict, quand tu voudras ;
Mais au matin ne me resveille
Et ne m’oste, quand je sommeille,
Ma Cassandre d’entre les bras.
An Marie
(Ronsard für die Westentasche)
Küss mich, nein, saug mir
das Herz aus, die Luft,
saug mir die Seele
aus allen Adern!
Tu’s lieber doch nicht!
Du machtest mich zum
Gespenst und würdest
ewiglich hadern.
Lass uns uns lieben!
Wir sind noch nicht tot,
noch sind wir munter!
Die Liebe blüht nur
über der Erde
und nicht darunter.
Pierre de Ronsard (1524-1585): Les Amours de Marie, XLIV
Marie, baisez-moy : non, ne me baisez pas,
Mais tirez moy le cœur de vostre douce haleine :
Non, ne le tirez pas, mais hors de chaque veine
Succez-moy toute l’ame esparse entre vos bras :
Non, ne la succez pas : car apres le trespas
Que serois-je sinon une semblance vaine,
Sans corps desur la rive, où l’amour ne demeine
(Pardonne moy Pluton) qu’en feintes ses esbas ?
Pendant que nous vivons, entr’aimons nous, Marie,
Amour ne regne point sur la troupe blesmie
Des morts, qui sont sillez d’un long somme de fer.
C’est abus que Pluton ait aimé Proserpine,
Si doux soing n’entre point en si dure poitrine :
Amour regne en la terre et non point en enfer.
wörtlich: Marie, küss mich; nein, küss mich nicht; aber saug mein Herz aus mit deinem süßen Atem; nein, saug es nicht aus; aber saug mir in deinen Armen meine ganze Seele aus jeder Ader. – Nein, saug es nicht aus; denn was wäre ich nach meinem Tod als ein leerer Schatten ohne Körper auf jenem Fluss, auf dem die Liebe (verzeih mir Pluto) nicht einmal eine schwache Phantasie ist. – Solange wir leben, lass uns einander lieben, Marie.Die Liebe regiert nicht die blasse Gesellschaft der Toten in ihrem langen, eisernen Schlaf. – Es ist eine Lüge, dass Pluto Proserpina geliebt habe: Ein so süßes Gefühl gelangt nicht in eine derart gefühllose Brust. Die Liebe regiert auf der Erde und nicht in der Unterwelt.
(Proserpina, Tochter des Jupiter und der Ceres, von Jupiter in die Unterwelt entführt und zu seiner Ehefrau gemacht, ist die Königin der Unterwelt.)
An Lyce
Dank sei den Göttern!
nun bist auch du alt
hast trotz all der Cremes
zehntausend Falten
du willst noch schäkern?
Amor umflattert
jüngerer Frauen
holde Gestalten
einst warst du mein Schwarm
doch nun bist du grau
kein Jüngling wünscht sich
in deine Nähe
einst warst du Feuer
nun bist du Asche
du lebst noch aber
als alte Krähe
Horaz: Carmina IV, 13. ►Text und wörtliche Übersetzung
„Der Dichter spottet mit dem größten Muthwillen über eine Spröde, die nun alt wird. […] Allerdings geschieht dies mit einer Laune, die unser Zeitalter nicht ertragen würde, die aber die Denkungsart der Alten so unschicklich nicht fand.“ (Paul Friedrich Achat. Nitsch, Pfarrers zu Ober- und Niederwuntsch Vorlesungen über die klassischen Dichter der Römer. Leipzig 1793. S. 108.)
Tigerlily – nach 50 Jahren?
Frage an einen Besucher aus der alten Heimat
hast du dort kürzlich
die kleine Rote
durch meine Straße
spazieren sehen?
die pflegte damals
frühmorgens immer
im Wildkatzenjäckchen
zur Schule zu gehen
君自故鄉來
應知故鄉事
來日綺窗前
寒梅著花未
(王維)
Du kommst gerade aus meinem alten Dorf und weißt sicher, wie die Dinge dort stehen: Blühte, als du aufbrachst, die Winterpflaume vor meinem Fenster? Wang Wei (701-761)
Die Prinzessin auf der Erbse
Lieber Himmel,
Collage
Japanischer Feuerschutz
Kalligraphie mit Vogel
高桐院, 京都 – Koto-in, Kioto
ein Vogelschrei macht
den Wald noch stiller?
wie recht er hat der
weise Verfasser!
macht nicht auch häufig
das Mitsibushi
ein blasses Bäuchlein
noch sehr viel blasser?
Das chinesische Gedicht, dem die kalligraphierte Zeile entnommen ist, scheint bei der Entstehung der Wendung „點金成鐵“ (aus Gold Eisen machen, einen Text verschlimmbessern) eine Rolle gespielt zu haben: Die ursprüngliche Formulierung „烏啼(嗚)山更幽“ (ein einzelner Vogelschrei macht den Wald noch stiller) soll ein späterer Autor in abgewandelter Form in ein eigenes, ähnliches Gedicht übernommen haben: „一烏不嗚山更幽“ (dass nicht ein Vogel schreit macht den Wald noch stiller). Diese Abwandlung soll ein Kritiker mit „點金成鐵“ kommentiert haben: „Du hast aus Gold Eisen gemacht, den Text verschlimmbessert.“ (Vgl. 嚴北溟,嚴捷 編著: 中國哲學寓言故事 4. 臺北 1990. 90-91.) – Für den Rest des Textes vgl. auch Schoßtiere und Tattoos und Piercings: Das Ende der Nacktheit.
Grundsatzfrage
er kann sie immer
noch nicht vergessen
obwohl sie ihm schon
seit langem schnurz ist
es will ihm einfach
nicht in den Kopf dass
ewige Liebe
so schrecklich kurz ist
Gas und Bremse
Strandspaziergang in Travemünde
Siamesisches Ehepaar
Hörspiel
Grenzen der Weisheit
Zenmeister raten
gar nichts zu denken
gar nichts zu wollen
gar nichts zu fühlen
kaum aber zeigt dir
eine ihr Strumpfband
schon sitzt du wieder
zwischen zwei Stühlen
Galleria Borghese
Franziskus und Claudia
Mittagsschläfchen
Überraschung beim Ostereinkauf
Schnullerbaum
(Herrenhäuser Gärten)
ein Baum soll bei der
Entwöhnung helfen
von Lust und Sucht und
quälenden Zwängen?
das wär was für mich
um wenn auch nicht sie
so doch ihr Bildnis
dran aufzuhängen
Ein Schnullerbaum dient der Schnuller-Entwöhnung eines Kleinkindes: Das Kleinkind kann an diesem Baum, oft einem Parkbaum, seinen Schnuller (Lutscher, Schlotzer, Nuckel, Luller) aufhängen, um sich so von diesem zu lösen.
Modejournal: Die Osterhosen 2014
die Röhren sind jetzt
so wurstpelleneng
die Damen wirken
gewölbt und gekerbt
als wären sie nackt
und hätten sich nur
mit Eierfarben
die Beine gefärbt
Umstandsmode
Hannover, Steintorstraße:
Echt fett diese Braut!
kreischt Hanna erregt
tatsächlich schwebt am
Taxistand drüben
ein stumpfer Kegel
aus schneeweißem Tüll
als könne er kein
Wässerlein trüben
Das jugendsprachliche fett bedeutete hier wohl: cool, toll, fabelhaft.
Unaufhaltsam
in dem was sie tut
sind Sinn und Verstand
beim besten Willen
nicht zu erkennen
man kann sie trotzdem
kaum daran hindern
Hals über Kopf in
ihr Glück zu rennen
Stewardess
(Shanghai-Amsterdam)
eine Walküre
auf ächzenden Pumps
mühelos stemmt sie
Koffer und Taschen
die würde einen
Hänfling wie mich beim
Zeitunglesen zum
Frühstück vernaschen
Brautmoden
Frühstücksbuffett
(Shanghai)
sie lässt die Stiefel
wie Trommelschlegel
auf den polierten
Steinboden knallen
ich bin ihr dankbar
ihr nachzustarren
wäre mir sonst
nie eingefallen
Shanghaier Wintermode
unter klotzigen
klobigen Jacken
knorrige Beine
in allen Längen
ein schöner Anblick
wie Bonsaipflanzen
die aus den Töpfen
nach unten hängen
Hirnverbrannt
Pah!
erst bittet sie mich
ihr Briefe zu schreiben
dann schreibe ich und
sie antwortet nicht
lass ich in Zukunft
das Schreiben halt bleiben
und schreibe sie ab
und dieses Gedicht
… mehr zum Thema hier
Cheshire Cat
sie schreitet vorbei
hebt kurz die Pfote
um mir ein schnelles
Grüßchen zu fächeln
und schon ist sie fort
nur auf den Fluren
glänzt noch für eine
Weile ihr Lächeln
‘All right,’ said the Cat; and this time it vanished quite slowly, beginning with the end of the tail, and ending with the grin, which remained some time after the rest of it had gone.
(Lewis Caroll: Alice’s Adventures in Wonderland.)
Nur im Traum
sie schwenkt die Hüften
und alle schmachten
ich aber pfeife
auf ihr Getue
sie darf im Traum bei
mir übernachten
am Tag genieße
ich meine Ruhe
Im Traum
Städte verbrennt Sthenelaïs, die sündhaft teure Hetäre;
jeden der sie besucht, rupft sie um sämtliches Geld.
Nun aber hat sie ein Traum heut nacht bis zum strahlenden Morgen
hüllenlos zu mir gelegt und sie umsonst mir geschenkt.
Wahrlich, jetzt knie ich nicht mehr vor dem harten Geschöpfe und weine
nicht mehr im stillen: mein Schlaf schenkt mir das alles umsonst.
(Anonym)
(Anthologia Graeca. Griechisch-Deutsch ed. Hermann Beckby. Bd. I. München: Ernst Heimeran 1. Aufl. 1957. 240f.)
Autark I
Liebe im Sammelband
Vor dem Gesetz
Smartphonefolter
Gesprächsfetzen
(Bremer Weserpromenade Schlachte)
… ihr Rock sei nicht zu
sehen gewesen
hör ich sie kichern
einfach verschwunden
dann aber habe
sie ihn zerknittert
oben um ihre
Taille gefunden …
Dummes Herz III
sie schimpft über mich
und liebt mich trotzdem
bei Gott noch immer
woher ich das weiß?
weil ich wie sie bin
hol mich der Teufel
ich mach sie runter
und liebe sie heiß
Lesbia mi dicit semper male nec tacet umquam
de me: Lesbia me dispeream nisi amat.
quo signo? qia sunt totidem mea: deprecor illam
assidue, verum dispeream nisi amo.
(Catull: Carmen 92)
Zwei zu null
Dummes Herz II
nun hat die Liebe
zu dir mich meinen
Verstand gekostet
soll ich dich hassen?
ich kann dich wärst du
auch gut nicht mögen
und wärst du böse
von dir nicht lassen
Huc est mens deducta tua, mea Lesbia, culpa,
atque ita se officio perdidit ipsa suo
ut iam nec bene velle queat tibi, si optima fias,
nec desistere amare, omnia si facias.
(Catull: Carmen 75)
Dummes Herz I
wie hat die Frau mich
grausam gepeinigt
mit schwarzer Spitze
Schmerz und Entbehrung
warum nur ist mir
sobald sie lächelt
trotzdem wie bei der
Weihnachtsbescherung?
Riskantes Spiel
Peter kauft Pia
ein kurzes Röckchen
seht nur ich hab sie
und ihr habt sie nicht
nun folgen Pia
sämtliche Böckchen
und Peter macht ein
besorgtes Gesicht
Beichte
Herr ich empfinde
nicht einfach Reue
bei mir liegt der Hund
noch tiefer begraben
ich muss bereuen
dass ich bereue
einst nicht beizeiten
gesündigt zu haben
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.