Fünfeinhalb Minuten

heiter ragt es
aus seinem Becher
vergessen ist ach
der Henne Pein
mächtig wirft es
sich nun in Schale
hier ist es Ei
hier darf es sein

Soleier

die gab es damals
praktischerweise
in jeder Kneipe
am Abend zum Bier
zu Hause rochen
dann meine Finger
nach Senf und Essig
und nicht mehr nach ihr

Smoothies

Elisir di sì perfetta,
di sì rara qualità
(Donizetti / Romani:
L’elisir d’amore. 1832)

man kaut jetzt nicht mehr
man häckselt Nüsse
Obst und Gemüse
zu Suppe und Brei
bald quirlt man Haare
Sabber und Samen
dann ist es auch mit
der Liebe vorbei

Starmix, ca. 1955

Mittagessen mit Egon

ich könnte ein Steak
von dieser Größe
im Leben niemals
hinunterbringen
er aber würde
wenn man ihn ließe
glatt einen ganzen
Ochsen verschlingen

Chinesisches Frühstück

die schwarzen Haare
in meinem Salat
können mich morgens
keineswegs stören
ich träume vielmehr
beschwingt ja verzückt
von der der diese
Haare gehören

Feenerscheinung beim Abendessen

urplötzlich über
Lachs und Gemüse
zwischen Silvaner
und Buttertöpfchen
jenseits des Platzes
scheinbar genauso
groß wie mein Salzfass
ihr blondes Köpfchen

Tea for Two

zweierlei Siebe
ihr Spitzenmieder
von Röschen durchbohrt
von Gold umflossen
und das für den Tee
den er soeben
mit Fenchelsamen
frisch aufgegossen

Haute cuisine in Ahrenshoop

kein Koch zu sehen
die Kellnerin murkst
mit Plastikeimern
und einer Kelle
dann schiebt sie das Zeug
nach Feinschmeckerart
zum Aufwärmen in
die Mikrowelle

Teestunde

das Fenster ist zu
das Radio stumm
selbst Bach und Mozart
würden jetzt stören
ich sitze am Tisch
im dunklen Zimmer
und möchte nichts als
die Stille hören

Perspektiven

warum sieht die Welt
denn ganz anders aus
wenn wir am Abend
im Sessel liegen
und uns der Sinn
nach Erdnüssen steht
als früh im Bade
wenn wir uns wiegen?

Kuchenvitrine im Stadtcafé

zehn alte Torten
seit Tagen gekühlt
kein Duft kein Geschmack
ich hab mich gefühlt
als warteten statt
der warmen Annett
zehn kalte Leichen
in meinem Bett

Japanischer Mittag

(Restaurant beim Kōdai-ji 高台寺, Higashiyama, Kioto)

draußen im Garten
blaue Libellen
im grünen Weiher
paddelt ein Fisch
durch die Papierwand
Bass und Piano
die alte Köchin
deckt uns den Tisch

Chinesisches Abendessen in Tokio

刀刮麵酒家，日本橋

ein Koch aus Xian
brät scharfe Nudeln
in Rauch und Dampf und
Knoblauchgerüchen
für ein paar Bissen
aus dessen Pfanne
pfeif ich auf Luxus
und Sterneküchen

Restaurant Gongdelin Shanghai

Vom Segen des Mobilfunks
für die ältere Generation

drei alte Tanten
schlürfen und schmatzen
zwischendurch hören
sie auf zu schwatzen
pressen sich ihre
Enkel ans Ohr und
telefonieren
einander was vor

Traditionsgaststätte

die alte Kneipe
hat neue Pächter
im Radio plärrt jetzt
Pop ohne Pause
mit wummerndem Bass
und Werbegeschwätz
ich spare mir das
und bleib zu Hause

Mein Morgentee

(1990 / 2013)

ein Duft wie damals
Winter in Peking
der blaue Rucksack
zum Aufbruch parat
das Zimmermädchen
schwingt schwarze Zöpfchen
lächelt mir zu und
verdrückt sich ins Bad

Kühler Sommer

die Beeren noch grün
noch nichts zu pflücken
der Regen hat uns
ins Haus gezwungen
wir schlecken Kompott
vom letzten Jahr und
zeigen uns unsre
tiefblauen Zungen

Origami

errötend seh ich
der Serviette
zaunpfahlwinkende
lockende Fahne
man lädt mich wärmstens
zu Tee und Gebäck
im kleinen Kreise
aber mit Sahne

Foto: © Ina Stolle

Jakobsmuscheln

Fischgeruch hat ja
durchaus seinen Reiz
sogar die Liebe
duftet nach Fisch
aber bei Muscheln
frag ich mich immer
was soll die Liebe
auf meinem Tisch?

Amrumer Elegie

Reetdächer Kühe
friesischer Nerz
Dünen und Wolken
und gar nichts fürs Herz
der einzige Trost
die extra große
Matjesportion mit
Hausfrauensoße

Oberkellner in der Schiffergesellschaft

(Lübeck)

die schwierige Kunst
des Platzanweisens
handhabt er täglich
äußerst entschlossen
ganz Feldherr deutet
er quer durch den Saal
und schon passt der Stuhl
wie angegossen

Weihnachtsmann aus Schokolade

Annette nuckelt
an seiner Mütze
und hat ihn schon bis
zur Hüfte enthüllt
sie lutscht und knabbert
und träumt ein wenig
plötzlich ein Aufschrei
der ist ja gefüllt!

Mein Salzstreuer

für B.

sie schenkte ihn mir
und war verschwunden
ihr Ruhm aber blieb
jahrzehntelang frisch
ein Denkmal auf einem
fernen Marktplatz
ist nichts gegen eins
auf dem Frühstückstisch

Weihnachtsmarkt

Tannengrün Bratwurst
Nikolausmützen
Hochkonjunktur bei
der Glühweininnung
man drängt sich frierend
durch Budengassen
und kommt vor Stimmung
nicht zur Besinnung

Adventskalender II

Anfang Dezember
schon alle Türchen
sperrangelweit

die dicke Else
hat die Gefangnen
barmherzig befreit

Adventskalender I

in vierundzwanzig
winzigen Zimmern
warten allerhand
süße Genüsse
Susanne öffnet
die bunten Türchen
fast noch geschickter
als Reißverschlüsse

Traumpolonaise

zehn alte Tanten
gänsemarschieren
die Rücken gebeugt
von Kummer und Weh
als eine graue
Lokomotive
mit Krückstockpleueln
zum Kuchenbüfett

Kulinarische Lücke

Chinesen braten
ununterbrochen
Fettschmauch verdunkelt
schon morgens das Licht
sie haben tausend
Dinge erfunden
doch leider bisher
das Butterbrot nicht

Shanghaier Entenrestaurant

Flügel und Hälse
Köpfe und Zungen
Flossen und noch so
diverses Quackquack
akribisch sortiert
in Schalen aus Blech
Donald und Daisy
für jeden Geschmack

Spode Blue Room*

nur eine Hütte
ein Tempel Bäume
ein alter Fischer
träumt auf dem See
sonst nirgends Menschen
nicht mal ein Vogel
friedliche Stille
in meinem Tee

* Josiah Spode I (1733-1797) gründete 1770 die Porzellanfabrik Spode in Stoke-on-Trent.

Süßigkeiten unter Verdacht

statt Schokolade
nur Schaum und Chemie
keiner Verpackung
kann man mehr trauen
ist etwa unter
den Tops und Tattoos
auch nur noch Gummi
statt echter Frauen?

Grüner Tee

der herbe Grasduft
ist für mich China
Fahrradgeklingel
ein flatterndes Kleid
Schriftzeichenschwärme
Berge Pagoden
Küchendampf Busse
und Deutschland ganz weit

Hotelfrühstück in Tirol

wieder so eine
Lachsalvengruppe
ein Witz ein Gebrüll
und immer so fort
Leben als Sitcom
Gags statt Gespräche
ich löffle Müsli
und sinne auf Mord

Galatabrücke

das Goldene Horn
vom Rauch verdunkelt
Dampfer und Angler
und überall Dreck
betagte Fische
werden gebraten
dann fettig serviert
und schon sind sie weg

Kaffee togo

an jeder Ecke
der gleiche Unfug
nur Irreführung
und Werbegebrüll
da geht es nicht um
Kaffee aus Togo
der Kaffee togo
ist Kaffee in Müll

Diät

Frau Schultze isst wenn Hüftspeck droht
tagtäglich nur noch Knäckebrot
legt man das Ohr an ihren Busen
hört man es knistern dort beim Schmusen
wie? – fragt man sich – bricht jetzt ihr Herz?
nein Knäcke knuspert magenwärts

Ein Vorteil

reifere Frauen
verwöhnen Männer
oft durch Kosmetik
mit Pflegesystem
beim Küssen schmecken
dann ihre Wangen
wie Butterbrote
mit Frischkäsecreme

Caprese

Elvira gönnt sich
im sonnigen Park
ein Solopicknick
mit feinen Salaten
unterm Bikini
reift Mozzarella
wo die Haut freiliegt
reifen Tomaten

Evolution

in ferner Zukunft
so gegen Ende
haben Menschen statt
heutiger Hände
Faultierkrallen und
Känguruhtaschen
für Papptrinkbecher
und Fuselflaschen

Sternerestaurant

die Köche haben
winzige Bröckchen
kunstvoll zu etwas
ganz Großem garniert
und manche hoffen
wenn sie hier essen
dass sowas nun auch
mit ihnen passiert

Haute Cuisine

auf großen Tellern
winzige Wachteln
unter Salaten
und Kräutern versteckt
wie Sommerliebchen
im hohen Grase
die bleichen Keulen
zum Himmel gereckt

Plötzliche Erkenntnis im ICE von Saarbrücken nach Paris

wenn Hüften schwer wie
Lastwagenreifen
vom Gang her mir an
die Schulter streifen
dann rennt meist eine
mit leerem Magen
und dickem Hintern
zum Speisewagen

Bagel

zwei fette Wülste
verziert mit Kresse
zwei Scheibchen Seitan
elastische Nässe
ich beiße hinein
bis über mein Kinn
rinnt Remoulade
dann reißt es mich hin

Mein Muffin

lachende Kirschen
Strapsschokolade
ein Plisseesöckchen
umspannt die Wade
das Fleisch süßschaumig
die Haut elastisch
ein Biss und ich bin
enthusiastisch