zwei welke Blätter
trudeln langsam zu Boden
der Winter wartet
Kategorie-Archiv für Vermischtes
Verwirrend
Moai
Halloween
Ratlos im Kino
warum nur ziehen
Frauen in Liebesszenen
die Bettlaken stramm?

Mitbringsel
Radrennen
Cabin Crew
statt zarter Elfen
lauter grobe Matronen
im Großputzkittel

Longshan-Tempel, Tamsui
mitten im Marktlärm
Schwalbenschwanzdächer Weihrauch
siegt über Fischdunst

Frühstück in der Fremde
Wo Lotoswurz und Tofu droht,
da sehn ich mich nach Butterbrot.
Stürmischer Sommer
Kegelbrüder
Koreas Antwort
auf Japans heiligen Berg
der Schinkenfuji

Klauenseuche
ein eitles Frätzchen
die Fingernägel modisch
mit Ausschlag verziert
Japanische Nachtigall (Uguisu)
fi!-ga!-ro! pfeift sie
erst schnell dann wird sie langsam
und dann fliegt sie weg

Ausflug zum Bongwon-Tempel
wir fragen uns durch
kein Mensch kennt den Weg jeder
zeigt irgendwohin

Vorfrühling
ein Kinderwagen
zerrt eine müde Mütter
zum Spielplatz im Park

Reitstunde 1959
die Stute schien mir
ein schrecklich schnaubendes Buch
mit sieben Siegeln

Unter der Dusche zu singen
wenn drunt im Tal
die Bächlein plötschern
im grünen Wald
die Zwiegel vötschern
wenn auch die Dichter
lauthals reimen
weil tief in ihnen
Verse keimen
dann tut die Welt uns
damit kund
nun ist sie da
die Morgenstund
und nur der Maul
mit seinem Wurf
schweigt ewig still
in Mulch und Turf
Voyeur
seit Jahren späht er
durch jede Ritze als wäre
etwas dahinter

Goldene Mitte
in meiner Phantasie
erblickte ich ein Knie
darunter eine Wade
die fand ich ziemlich fade
darüber einen Schenkel
der ging mir auf den Senkel
drum blieb ich stur beim Knie
in meiner Phantasie

Camping
kaum wälzt sich Zenzi
ins Zelt schon zischt die Luft aus
ihrer Matratze
Heißer Tag in Takao
Schal vor dem Mund
auf altem Fahrrad bergauf
Greisin mit Schlapphut

Regenzeit
wo früher Weg war
gluckst jetzt ein munterer Bach
fehlen nur Fische

Spaziergängerin
wie aus Versehen
lupft sie ihr Kleid und lauert
ob ich auch gucke

Nicht Fiktion, sondern realistische Reportage: Der Autor wäre niemals in der Lage, sich etwas Derartiges auszudenken!
Mansarde
sie sind zerstritten
nur ihre Fürze fahren
einig zum Himmel
Zwei Seelen
zwar blickt sie finster
aber ihr Hüftschwung verrät
sie kann auch anders

Fähiger Nachbar
der Arzt nebenan
kann nicht nur Menschen der kann
auch Rasenmäher

Haarige Allee
die Linden grünen
nicht nur am Kopf sie grünen
auch an den Beinen
Parkspaziergang
der Weg versperrt durch
zehn Meter Leine zwischen
Frauchen und Fido

Frühlingsgeräusche
Der Möwerich kreischt laut und schrill,
die Möwe zu betören.
Das Vieh darf kreischen. Ich bin still
und muss sein Kreischen hören.
Die Lerche tiriliert vor Lust.
Die Frühlingswinde rauschen.
Fern blökt ein Schaf aus woller Brust.
Und ich muss schweigend lauschen.
Dumpf muht die Kuh, vom Grase satt,
im Kreise ihrer Kälber.
Nur abends spät, in meinem Bad,
muh ich dann auch mal selber.

Frau Schultze
Frau Schultze isst,
wenn Hüftspeck droht,
tagtäglich nur noch
Knäckebrot.
Legt man das Ohr
an ihren Busen,
hört man es knistern
dort beim Schmusen.
Wie?! – fragt man sich,
Bricht jetzt ihr Herz?!
Nein: Knäcke knuspert
magenwärts.

Anti-Mops
Höchst böse ist der Anti-Christ!
Der Anti-Mops ist gut:
Das ist ein kleiner, dicker Hund,
der niemand etwas tut.
Der schnuppert still an dir herum
und wittert deinen Speck
an Schenkeln, Bauch, Popo und so
und knabbert ihn dir weg.

Ferne Muse. Eine Collage.
So lang bist du schon weg!
Wie soll ich für dich reimen?
Muss mir mein Bild von dir
allein zusammenleimen:
2 Gipsfüße aus dem Fußpflegesalon
10 Knoblauchzehenspitzen
2 Dekowaden aus der Damenstrumpfabteilung
2 Rohrknie aus dem Heizungskeller
2 Marmorsäulchen vom Familiengrab
1 rotes Dreieck aus dem Mengenlehrebuch
1 frisches Brötchen vom Bäcker
2 Honigmelonen vom Gemüsemarkt
1 bleicher Torso aus dem Kriminalmuseum
1 Kullernabel aus dem Flipperautomaten
2 Zitronen aus dem Land, wo sie blühn,
2 Walderdbeeren aus dem Obstkörbchen
2 Arme von 2 einarmigen Banditen
10 Finger aus einem Schreibmaschinenkurs
119 836 Haare von einer Füchsin aus Brehms Tierleben
3 957 braune Sommersprossen aus der geplatzten Kaffeekanne
1 Gesicht von einem alten, schwarzweißen Passfoto und
1 grin of the Cheshire Cat (1).
Ich zücke meinen Kleisterstift
und grobes Packpapier
und klebe alles richtig auf:
Dann ist’s, als wärst du hier.

(1) „All right,“ said the [Cheshire] Cat; and this time it vanished quite slowly, beginning with the end of the tail, and ending with the grin, which remained some time after the rest of it had gone. (Lewis Carroll, ‚Alice in Wonderland‘)
(2001)
Karawankenlied
Wenn im Tal der Karawanken
abends all die süßen, schlanken,
frischen, frommen, freien, franken
Maderln an der Liebe kranken,
wenn im Parke auf den Banken
harte Burschen ihre Pranken
ohne Wanken, ohne Schranken
um der zarten Maderln blanken
Hals wie Krakenarme ranken,
bangen wir, die morschen Planken
jener Banken könnten schwanken.
Doch die halten – gottseidanken!

Karawanken: Kalkkette der Südalpen im österreichisch-slowenischen Grenzgebiet
Frühling am Kamo
schwarze Blüten aus
Tuch mit Staubgefäßen aus
blassgelbem Nylon

Beate
sie ist ein Leuchtturm
steht reglos und schweigt und lässt
ihr Lächeln kreiseln

Pas de deux
sie ist das Segel
er Mast und Takelage
sie beide das Boot

Lichterscheinung
mein eignes Fenster
vom Vollmond auf die Wand des
Nachbarn gespiegelt

Wäscheboutique II
Hemdchen und Höschen
als coole Gangstermasken
für Lustüberfälle

Schlagzeug
Tina liebt Trommler
der Klang ist es nicht es sind
die starken Arme
Brautunfall
kaum setzt sie sich hin
klappt ihr die Krinoline
vom Fuß ins Gesicht

Auf dem Motorroller
(Tainan)
vorn kühlt der Fahrtwind
unten erwärmt des Motors
sanftes Vibrato
Ballettunfall
Silke sägt Susi
mit ihrem scharfen Tutu
ritsch! ratsch! mittendurch
Tempelnonne in Takao
sie zeigt mir lächelnd
sonst verbotene Kammern
und flüstert Secret!
Morgenstund
zerstreut aus dem Bett
an einem Fuß zwei Socken
übereinander

Galgenfrist
bald wird es kalt
einstweilen tröstet uns noch
die Apfelernte

Film noir
im Flur fällt ein Schuss
im Badezimmer trocknen
duftige Nylons

Reisebekanntschaft 1979
I
sie hatte Heimweh
quietschte aber entzückend
bei Start und Landung
II
Wüstenbusse mit
schwitzigen Kissen seither
Pickel im Sitzfleisch
Herbsttag
ein trüber Himmel
lauter vergraute Wäsche
auf Gottes Leine
Immerhin
zwar nur ein Halbmond
aber er füllt mein Zimmer
freundlich mit Vollmilch
Nach dem Mairegen
kaum bleibst du stehen
schon wächst dir das Gras in
die Hosenbeine
Kalter April
die Blüten verschneit
der warme Mantel verflixt
schon auf dem Speicher
Fehlalarm
bricht ein Vulkan aus?
brennt Rom? nur Osterfeuer
im Nachbargarten!
Fortschritt in der Lokalpresse
Inzwischen, schreiben
Jungredakteure
viele Artikeln,
verfassen sie die.
Diese Artikel,
fördert beim Leser
Klarheit Grammatik,
mit Ortografie.
Gedichte – über Kurz oder Lang
die langen stehen
auf dem Papier
die kurzen gehen
mir durch den Kopf
Die Eidechse
tagsüber schläft sie
faul in der Sonne
und niemand findet
etwas dabei
nachts aber dechst sie
in ihrer Höhle
wollüstig seufzend
heimlich ihr Ei
Novemberstrip
der Wolkenvorhang
nur halb geöffnet
die Mondin tänzelt
im Scheinwerferlicht
eine blässliche
Arschbackenkugel
mit blauen Flecken
mehr sehe ich nicht
Malermeister K.
Vor dem Föhn
die Sonne hinter
der Milchglasscheibe
des Morgenhimmels
ein bleicher Kreis
Wiesen und Wälder
gestern in Farbe
heute dagegen
nur noch schwarzweiß
Vom glücklichen Ende des Generationenkonflikts
früher waren die
Mütter oft Drachen
die Väter waren
Herrscher und Schinder
heute dagegen
herrscht nur noch Frieden
jetzt sind die Eltern
wie ihre Kinder
Ein Fortschrittsapostel
die alten Weine
sind ihm verdächtig
die jungen munden
ihm wesentlich süßer
mit fünfundsechzig
bekommt er sicher
ein Ehrenpöstchen
als Zukunftsbegrüßer
Sommergewitter
es hebt bislang nur
die weiße Tolle
über die Pappeln
in meinem Garten
wie üblich ist es
vollendet frisiert
aber sein Auftritt
lässt auf sich warten
Kopfkissen
Zu fromm
Helene fühlt sich
nun da sie tot ist
von ihren Göttern
grausam betrogen
vor lauter Beten
ist sie im Sterben
blindlings am Himmel
vorbeigeflogen
´Tain´t wise to overdo your prayers, for you might die,
And waking, find you passed it, Paradise, right by.
(Jap. Kyôka, 1683. Übersetzung Gill, Robin D.: Kyôka.
Japan’s Comic Verse. A Mad in Translation Reader.
Paraverse Press 2009. 35.)
Sommernachmittag
vom Sonnenschirm rinnt
der laue Regen
auf meinen Balkon
ich sitze trocken
die Tropfen läuten
im halbvollen Bauch
der Blechgießkanne
wie Tempelglocken
Königin und Kammerherr
Sommerjazz
die Kontrabassistin
streichelt versonnen
des Kontrabasses
brummenden Bauch
die Sängerin aber
kreischt so entsetzlich
dass ich mir wünsche
sie brummte auch
Botox
Schrottpresse
der Zeitgenosse
schreibt Kurznachrichten
da presst er dann flott
jeden Gedanken
der ihm zu lang ist
zu handlichem Schrott
Vorfrühling auf dem Balkon
Südwinde lüften
Schlüpfer und Strümpfe
Blüten verströmen
Düfte und Staub
zwischen den kahlen
Büschen und Beeten
amselt der Nachbar
emsig im Laub
WhatsApp, Twitter & Co
nur halbe Sätzchen
und kein Gedanke
das Nichts in Häppchen
und dünnen Scheiben
fingerfertige
Analphabeten
die schreiben können
ohne zu schreiben
Abend
drinnen streiten zwei
Uhren verbissen
ist es erst sieben?
oder schon acht?
am Himmel funkeln
zwischen den Wolken
die ersten Sterne
bald wird es Nacht
Abend. Die beiden Uhren zanken sich um die richtige Zeit. Plötzlich dämmerte es. Der düstere und trübe Himmel zeigte seine ersten Sterne. (Monika S, 13 Jahre; in: Und sie fliegen über die Berge, weit durch die Welt. Aufsätze von Volksschülern herausgegeben von ihrem Lehrer Ludwig Harig. München: Hanser 1972. 25.)
Auch interessant
Nachrichten sehen
die Kühe wohl nicht
aber sie sehen
nachts in den feuchten
murmelnden dunklen
Wiesen am Dorfteich
staunend die morschen
Kopfweiden leuchten
Sisyphos
im Winter hat es
das Eichhörnchen schwer
dann wälzt es in der
Buche im Garten
auf steilen Ästen
Felsen aus Neuschnee
bergauf vor sich her
suum cuique
frühmorgens turnen
im sonnigen Park
zehn dicke Mütter
mit Kinderwagen
die Mütter träumen
von straffen Bäuchen
die Kinder träumen
von Milchgelagen
Schluss für heute
Brille abnehmen
das Buch zuklappen
schon fast im Halbschlaf
das Licht ausmachen
mir einen Traum in
Reichweite legen
und ganz zum Schluss noch
die Welt auslachen
Was tun?
nirgends ist Frieden
nicht in den Bergen
auch nicht in fernen
südlichen Ländern
mir bleibt nichts übrig
als mich zu Hause
beim Tee im Schlafrock
selber zu ändern
Es kann nicht schaden, daran zu erinnern,
dass schon die Revolutionäre Nikolai
Gawrilowitsch Tschernyschewski (1863)
und Wladimir Iljitsch Lenin (1902) sich
dieser Frage zugewandt haben.
Wintermorgen
jungfräulich leuchtet
der Schnee im Garten
die frühe Amsel
notiert ein Gedicht
ein Krikelkrakel
aus spitzen Sternchen
sie hüpft ein paarmal
und flattert ins Licht
Winternacht
Wie sich der Dichter beinahe mächtig verhauen hätte
silbernes Mondlicht
glänzt auf den Zäunen
und auf den Wiesen
am See
Unsinn! kein Mondlicht
nur dunkle Wolken
was silbern schimmert
ist Schnee
Nacht im Park
Was Derbes
nach Tannenbäumen
flackernden Kerzen
schmelzenden Liedern
und Festschalmeien
brauch ich was Derbes
mich kommt die Lust an
einfach mal lauthals
Fotze zu schreien
fotze, f. cunnus, vulva, ein
unhübsches, gemiedenes wort,
bei dem die sprachforschung
doch manches zu erwägen hat.
(Deutsches Wörterbuch von
Jacob und Wilhelm Grimm)
Trauerordnung
die die vergebens die
Welt retten wollen
werden seit jeher
mit Pomp begraben
weniger Ehre
bezeigt man Weisen
die auf den Laden
gepfiffen haben
Winterabend
Kopfhörer – politisch korrekt betrachtet
Mensch und Kuh
wir armen Menschen
grübeln und grübeln
die Kuh aber ist ein
glückliches Tier
sie denkt an nichts als
saftige Wiesen
und höchstens ganz selten
mal an den Stier
Dezemberabend
November
die welken Blätter
an meiner Buche
sind tagsüber stumm
des Nachts dagegen
rascheln sie plötzlich
ohrenbetäubend
wenn sie sich sacht im
Mondschein bewegen
Soll man?
soll man bei Mord und
schweren Verbrechen
in Zukunft stets von
Menschlichkeit sprechen
die aber die nicht
morden und brennen
von jetzt an besser
Unmenschen nennen?
Traumordnung
Barmherzige Gewöhnung
tagtäglich strömen
Schreckensschlagzeilen
aus mehr als zwanzig
Nachrichtentickern
in meinen Schädel
um augenblicklich
in dessen Boden
sanft zu versickern
Theater
im Alltagsleben
sieht man die Leute
oft erst nach Jahren
im rechten Licht
im Schauspiel aber
weiß man beizeiten
der oder der ist
der Bösewicht
Im Reisebüro
jetzt noch verreisen?
am Schalter wartet
ein rotes Blüschen
mit blonden Haaren
solange die mir
das Ticket verkauft
werde ich gern auch
zur Hölle fahren
Selber
wer liest denn heute
noch lange Briefe?
ich spare Umschlag
Porto und Spesen
finster entschlossen
das was ich schreibe
zukünftig höchstens
selber zu lesen
Herbst
nun wachen wieder
in unsern Betten
wenn wir im Schlafe
röcheln und keuchen
Gummisoldaten
in Frotteepanzern
uns die Gespenster
kühn zu verscheuchen
Aberwitz
dass sie den größten
Unsinn verzapfen
ist an und für sich
kein Grund zu klagen
schändlich ist aber
dass sie drauf aus sind
mir zu verbieten
aber zu sagen
Facebook-Unfall
Sabine habe
meldet die Presse
endlich bei ihren
Freunden sein wollen
und sich kopfüber
ins Smartphone gestürzt
von diesem Tag an
sei sie verschollen
Hotelzimmer in Tokio
vom Fenster zum Bad
noch nicht mal ein Schritt
die Wäsche tröpfelt
gleich über dem Tee
das Bett ist winzig
träumst du zu stürmisch
nach rechts oder links
dann tust du dir weh
Japanischer Seniorenausflug
Nachtflug nach Osaka
jedesmal wenn ich
in meinen Träumen
endlich soweit bin
dass Lotte mich liebt
niest nebenan ein
alter Japaner
laut wie ein Nilpferd
und Lotte zerstiebt
Von unten
Dann lieber Gedichte
auf tausend Seiten
er sprach und sie seufzte
mancher Roman ist
kaum zu ertragen
kann man worauf die
Sache hinausläuft
nicht auch ein wenig
sparsamer sagen?
Von Affen und Menschen
verspricht man Affen
morgens drei Nüsse
und vier am Abend
packt sie die Wut
vier Nüsse morgens
und drei am Abend
finden die Affen
dagegen gut
狙公賦芧。曰。「朝三而暮四。」眾狙皆怒。
曰。「然則朝四而暮三。」眾狙皆悅。《莊子》
Ein Affenhüter fütterte seine Tiere mit Nüssen. Er sagte ihnen: „Ich gebe euch morgens drei und abends vier.“ Die Affen waren verärgert. Daraufhin sagte er ihnen: „Ich gebe euch morgens vier und abends drei.“ Die Affen waren äußerst erfreut. (Zhuangzi)
Im Zhuangzi steht die Weisheit des Affenhüters im Vordergrund. Hier geht es mir dagegen um bisweilen erstaunliche Denk- und Entscheidungsprozesse, wie sie etwa in Daniel Kahnemanns Thinking, Fast and Slow (2011) beschrieben sind.
Erschöpfende Auskunft
er kauft sich täglich
allerhand Schnickschnack
glitzerndes Spielzeug
vom Schiff bis zum Schuh
und nennt uns wenn er
uns alles gezeigt hat
schließlich sogar noch
die Preise dazu
Der Fortschritt in den Medien
Morgenliedchen
draußen schmettert die
freundliche Amsel
im schwarzen Gewand
ihr Tü-türi-lü
ich wache auf und
schließe das Fenster
das Tierchen singt schön
nur etwas zu früh
Einsiedler und Kaufmann
ich wohne ärmlich
in schrägem Bambus
sein Tor liegt zwischen
turmhohen Mauern
ich finde Frieden
in meiner Hütte
er muss auf seine
Geschäfte lauern
道人屋冷四簷竹
長者門高百尺墻
屋冷道人心愈靜
門高長者日多忙
A hermit’s hut is empty encircled by bamboo
a merchant’s gate is high with hundred-foot-long walls
in his empty hut a hermit finds peace
behind his high gate a merchant finds none
(The Zen Works of Stonehouse. Poems and Talks of a 14th-Century Chinese Hermit. Translated by Red Pine. Berkeley 1999. 60f.)
Wind und Wolken
das sogenannte
Interessante
kann mir inzwischen
gestohlen bleiben
weg mit der Zeitung
ich will mir lieber
von Wind und Wolken
selber was schreiben
Cela ne m’intéresse pas tellement de vivre en faisant des choses intéressantes. Je rêve de m’arrêter, de zigzaguer, de faire de chaque journée une petite vie. Je rêve de contempler mon nombril. J’aimerais prendre des trains pour n’importe où … (Georges Wolinski: Lettre ouverte. In: J’étais un sale phallocrate. Paris: Albin Michel 1979. 55)
TV-Wetterfee
ein Beitrag zur Medienkritik
sie meldet freudig
Wärme und Sonne
ist elegant und
lächelt adrett
doch warum rät sie
uns wohl zu grillen?
geht sie mit einem
Metzger ins Bett?
Schafskälte
Radiogottesdienst
die armen Götter
was haben deren
Ohren und Hirne
da auszuhalten
die müssen sowas
beruflich hören
ich kann mir leisten
es abzuschalten
Metamorphose
Bildinschrift
Berge malt man am
besten im Regen
Wälder und Gipfel
dunstig verschwommen
wie Frauenlocken
im trüben Spiegel
und Geister die aus
den Wolken kommen
Ausschnitt aus einer Gebirgslandschaft von Mi Youren (1074–1151)
蔣士銓 (1725-1785): 題畫
不寫晴山寫雨山
似呵明鏡照煙鬟
人間萬象模煳好
風馬雲車便往還
Jiang Shiquan (1725-1785): Auf ein Bild geschrieben
Malt nicht die sonnigen Berge, malt die Berge im Regen – wie Frauenhaar im behauchten Spiegel. Die Dinge dieser Welt sind unscharf am schönsten; die guten Geister
kommen und gehen durch Wolken.
Im Bistro
Kühler Mai
Flughafenrestaurant
das Rollfeld verwaist
niemand will reisen
kein Flugzeug landet
und keines startet
im Frühlingsdunst kreist
ein einzelner Storch
ob den wohl eine
Störchin erwartet?
Da ist Musik drin
Fachärzte warnen
nun sind schon Kinder
häufig so süchtig
nach Tzz Tzz Bum Bum
zöge man denen
nur fünf Sekunden
die Ohrstöpsel raus
dann fielen sie um
Ins Gebetbuch einer Unbarmherzigen
wirf dieses Buch fort
dein Beten nützt nichts
liege dem Himmel
nicht in den Ohren
der hilft nur einem
fühlenden Herzen
kalte und stolze
gibt er verloren
John Wilmot, Earl of Rochester (1647-1680):
Written in a Lady’s Prayer Book
Fling this useless book away,
And presume no more to pray.
Heaven is just , and can bestow
Mercy on none but those that mercy show.
With a proud heart maliciously inclined
Not to increase, but to subdue mankind,
In vain you vex the gods with your petition;
Without repentance and sincere contrition,
You’re in a reprobate condition.
François de Malherbe (1555-1628):
Pour mettre au-devant des Heures de Caliste
Tant que vous serez sans amour,
Caliste, priez nuit et jour,
Vous n’aurez point miséricorde.
Ce n’est pas que Dieu ne soit doux:
Mais pensez-vous qu’il vous accorde
Ce qu’on ne peut avoir de vous ?
Aprilmorgen
Moderner Unterricht
die Kinder sollen
jonglieren lernen
kein Zweifel das ist
ihnen zu gönnen
doch warum immer
gleich mit fünf Bällen
bevor sie’s auch nur
mit einem können?
Dichter und Damen
Dichten ist mühsam
man muss die Verse
tausendmal ändern
bevor sie klingen
wie reife Damen
bevor sie ausgehn
stundenlang Pinsel
und Bürste schwingen
袁枚 (1716-1797): 遣興
愛好由來下筆難
一詩千改始心安
阿婆還似初笄女
頭未梳成不許看
Yuan Mei (1716-1797): Über das Dichten
Etwas Schönes zu schreiben ist immer schwer.
Mit einem Gedicht ist man erst nach tausend Änderungen zufrieden.
Eine alte Frau, selbst wenn sie noch aussieht wie eine Fünfzehnjährige,
mag sich nicht zeigen, solange sie ihr Haar nicht tadellos gekämmt hat.
homo oeconomicus
man soll ein Fuchs sein
soll Steuern sparen
sein Geld anlegen
nach Reichtum streben
Preise vergleichen
Warentests lesen
und Schnäppchen kaufen –
darf man auch leben?
Ballettbanause
“Water Stains on the Wall”Cloud Gate Dance Theatre Taibei
Hannover, 4. April 2015
todernster Kampfsport
Tüllpluderhosen
schwarzweißer Marmor
und Tempelglöckchen
ich lobe mir da
ein wenig Humor
beschwingte Musik
und kurze Röckchen

[…] I start by saying that it left me cold throughout its almost 75 minutes. […] Differences of gender are played down: there is no partnering, no touch (though there are male-female duets), and any distinctions between male and female dance style are subtle. […] “Water Stains on the Wall,” devoid of lightness or humor, keeps celebrating the skill of its own style, like a film actor whose performance tells you he is determined to win the Oscar this time. (Alastair Macaulay, The New York Times, 13.10.2011)
Auf der Suche nach dem Gleichgewicht
Zuhälter
was ist das? hab ich
mich früher gefragt
wer der nicht aufmacht
wenn man bei ihm klopft?
oder am Ende
eine Art Klempner
der etwas zuhält
damit es nicht tropft?
Von der Reise zurück
Nicolai Café Stralsund
draußen glänzt Backstein
mit Grünspantürmchen
ich sitze drinnen
lese Benns Worte
allein und schweigend
tröste mich aber
mit grünem Tee und
Preiselbeertorte
Gottfried Benn: Worte
Allein: du mit den Worten
und das ist wirklich allein,
Clairons und Ehrenpforten
sind nicht in diesem Sein.
Du siehst ihnen in die Seele
nach Vor- und Urgesicht,
Jahre um Jahre – quäle
dich ab, du findest nicht.
Und drüben brennen die Leuchten
in sanftem Menschenhort,
von Lippen, rosigen, feuchten
perlt unbedenklich das Wort.
Nur deine Jahre vergilben
in einem anderen Sinn,
bis in die Träume: Silben −
doch schweigend gehst du hin.
Autodesign
Toleranter Lehrer
er war verbindlich
duldsam und friedlich
und immer bemüht
uns einzuschärfen
man müsse alle
Ideologen
die Kellertreppe
hinunterwerfen
Überseemuseum
Hütten und Wigwams
sind längst verlassen
die Eingebornen
sind ausgeflogen
die meisten haben
gleich vor der Türe
am Bahnhofsvorplatz
Quartier bezogen
„Sagen Sie doch was!“
tritt dir mal wieder
wer auf die Füße
dann bist du selbst schuld
mach keinen Wind
du hättest vorher
halt sagen müssen
dass deine Zehen
empfindlich sind
Werbeclip
Breaking News
früher las man nur
ab und zu Zeitung
heute dagegen
ist man bestrebt
jede Minute
online zu sein um
sicherzugehen
dass man noch lebt
Ahnungslos
jetzt tragen deutsche
Schildbürger Schilder
sie seien Charlie
ich kann nur lachen
hätten die Charlie
jemals gelesen
würden sie sich aus
dem Staube machen
Kuchenvitrine im Stadtcafé
Selbstbildnis in der neuen Dusche
rings Glas und Spiegel
ich sehe unscharf
weil ohne Brille
doch so viel ist klar
da steht im warmen
rieselnden Regen
ein nackter Affe
mit silbernem Haar
Tigerlily – nach 50 Jahren?
Frage an einen Besucher aus der alten Heimat
hast du dort kürzlich
die kleine Rote
durch meine Straße
spazieren sehen?
die pflegte damals
frühmorgens immer
im Wildkatzenjäckchen
zur Schule zu gehen
君自故鄉來
應知故鄉事
來日綺窗前
寒梅著花未
(王維)
Du kommst gerade aus meinem alten Dorf und weißt sicher, wie die Dinge dort stehen: Blühte, als du aufbrachst, die Winterpflaume vor meinem Fenster? Wang Wei (701-761)
Collage
lg
sie langweilen mich
die Leute schreiben
keine Gedanken
nur Kurznachrichten
nur leeres Blabla
mit lieben Grüßen
auf solchen Unfug
kann ich verzichten
Beim Betrachten eines alten Schwarzweißfilms
In der Stadtbahn
Human Interest News
die Zeitung meldet
jetzt komme der Herbst
der Wind sei kühler
der Laubwald gelber
warum nur wollen
Menschen das lesen?
wer nicht bekloppt ist
merkt das doch selber
Drei zu zwei
Kaufhaus 109
Chinesische Touristin in Kioto
Ein politischer Kopf
Fußballweltmeisterschaft
Nostalgie im Bistro
Nette Leute
Was ich gern lese
Lieber Herr Supermarkt!
warum nur plärren
in Ihrem Laden
von früh bis abends
Popmusikfrauen
halb wie verzweifelt
rollige Katzen
halb wie nach Futter
quiekende Sauen?
The music – and if possible it should be the same music for everybody – is the most important ingredient. Its function is to prevent thought […]. (George Orwell: Pleasure Spots. 1946.)












































Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.